2013 Syrien I – Reiseberichte


25.05.2013 - 31.05.2013

Miriam Brenner, Heiko Mielke, Osman & Jessica (Logistik), Thomas Victor (Fotograf)


Itinerary Date :10.09.2013

Persönlicher Reisebericht von Jessica

10.09.2013

„Warum denn Clowns nach Syrien – brauchen die das?“

Oft werden wir gefragt, „wie kamt ihr den auf die Idee – Clowns nach Syrien?“. Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach. Ich hatte vor Jahren mal eine Fernsehdokumenation über eine Clowns-Reise in ein Flüchtlingslager gesehen. Die Bilder der damals gezeigten lachenden Kinder hatte sich bei mir eingebrannt und als die Revolution in Syrien (2011) losging und die ersten Videos und Bilder über die Kinder und die geflüchteten Familien Ende 2011 zunahmen, habe ich immer gesagt „Die Clowns müssen einfach nach Syrien – das ist genau das Richtige für die Kinder“.

Irgendwann habe ich dann per Email Kontakt zu den Clowns ohne Grenzen aufgenommen und sie gefragt, ob sie bereit wäre für syrische Flüchtlingskinder zu spielen. Ein paar Tage später kam die Rückmeldung „ Mit überwältigender Mehrheit hat der Vorstand der Clowns einer Aktion für Syrien zugestimmt!“. Ich habe geweint vor Freude, es war das erste Mal, dass jemand direkt zu Syrien ja gesagt hatte ohne Wenn und Aber. Häufig treffen wir erst mal auf viel Ablehnung und Skepsis – es kostet und viel Kraft und Energie, die Menschen hier in Deutschland für Syrien zu begeistern. Nicht aber die Clowns!

Das war Frühjahr 2012 – voller Motivation stürzten wir uns auf die Organisation und die Kontaktaufnahme Richtung UNHCR in Jordanien bzw. den türkischen Behörden hinsichtlich syrischer Flüchtlingslager in der Türkei. Denn klar war, wir gehen in eines der Nachbarländer, die syrische Flüchtlingen aufgenommen haben. Nicht nach Syrien selber.

Dann folgte eine für uns frustrierende Phase – unzählige Versuche, für Herbst 2012 eine Reise nach Jordanien zu organisieren, scheiterten aufgrund von terminlichen Vorgaben seitens des UNHCR und Schwierigkeiten der Koordinationder Clowns Organisationen auf internationaler Ebene, denn auch die spanischen, schwedischen und irischen Clowns Organisationen wollten 2012 nach Jordanien fahren und hatten schon Kontakte aufgenommen; und vielleicht ein bisschen viel Enthusiasmus und Naivität unsererseits ließen uns vorerstscheitern.

Parallel dazu stellen wir fest, wie schwer es ist, das Thema Clowns für Syrien zu „verkaufen“ und Spender für diese Aktion zu finden. Insbesondre in der arabischen Community stießen wir mit unserer ungewöhnlichen Idee auf viel Ablehnung nach dem Motto „Wieso Clowns, die Kinder brauchen Essen und Medizin, mehr brauchen sie nicht …! “Zum Glück fanden sich trotzdem Menschen, die sich für diese Idee begeistern konnten und somit kam bis Anfang 2013 eine kleine Summe zusammen. Allerdings fehlte nach wie vor das konkrete Projekt, „UNHCR lag ja auf Eis“ und wir kamen nicht weiter. Durch Zufall begegneten wir in den sozialen Netzwerken Dunja – einer Deutsch-Syrerin, die im Feb/März 2013 in Atme, einem syrischen Flüchtlingslager auf syrischem Boden, wenige Meter hinter der türkischen Grenze mit traumatisierten Kindern gearbeitet hatte und sagte, die „Clowns, das wäre so toll für die Kinder. Sie leben dort im Nichts und haben keine Beschäftigung bzw. keine Freude!“.
Und so war es dann auch, schnell waren die Kontakte zu den lokalen Hilfsorganisationen aufgebaut und die Anfrage gestellt – die Resonanz der Syrer vor Ort in Reyhanli, Türkei super positiv. Einige hatten schon vor Jahren in Syrien mit internationalen Organisationen der Clowns ohne Grenzen in irakischen Flüchtlingslagern gearbeitet.

UND was war anders als die erste Projektidee und machte sie damit auch einzigartig?
JA – Atmeh oder „The Olive Tree Camp“ liegt auf syrischem Boden. Kurz hinter der türkisch-syrischen Grenze, aber in Syrien und das war anders als wir ursprünglich gedacht hatten. Was würden die Clowns nun sagen?

Erste vorsichtige Anfragen an die Clowns waren vorsichtig optimistisch. Das Ganze lief erst mal unter der Topic „Pilotreise“ – es musste ein Team gefunden werden welches bereit war, das Risiko auch unter den neuen Rahmenbedingungen zu tragen und ein Termin musste her.

Ende Mai 2013 stand schnell fest – jeder spätere Termin wäre unerträglich heiß geworden. Die Temperaturen in Atme sind im Sommer schnell bei 40 Grad plus und spielen sollten die Clowns draußen auf freier Fläche – Hallen oder so große Zelte gab es nicht. Atme wird durch kleine private Hilfsorganisationen finanziert, die großen internationalen NGOs arbeiten nicht auf syrischen Boden. Also klar war – alles super einfach – kein “Luxus“ wie bei UNHCR Lagern war zu erwarten.

Unsere lokale Partner-Organisation „Maram Foundation“ (von Exilsyrern aus den USA gegründet und betrieben) sicherte uns den täglichen Grenzübertritt als „Ärzte“ zu – also im Kostüm über die Grenze ging also nicht! Unterkunft und Transport organisierten wir dank der Kontakte von Dunja mit den Locals vor Ort. Parallel bereiteten die Clowns ihre Vorstellung vor – ab und zu fragten die Clowns noch nach kulturellen Spezifika (Langarmshirts, nackte Beine, Kopftuch? Arschritt ja/nein? Knallender Luftballon?) – es lief und wir freuten uns.

Dann platze die Bombe – 2 Wochen vor unserer geplanten Reise ging die Autobombe in Reyhanli hoch – was bedeutete das für unsere Reise? Dank Facebook und unserer lokalen Netzwerke wussten wir innerhalb von Stunden wie die Lage vor Ort ungefähr war, die Hintergründe wurden ebenfalls recht schnell transparent. Trotzdem die Bedenken der Clowns wuchsen verständlicherweise. Klar – die Medien Berichterstattung hierzulande ist selektiv und spiegelt nicht das wieder was tatsächlich vor Ort passierte. Klar war – die Spannungen zwischen Syrern und Türken auf türkischer Seite stiegen, die Schuldzuweisungen, Gerüchte und Aggressionen gegen syrische Flüchtlinge nahmen zu. Unsere lokalen Partner waren ebenfalls verunsichert und die Sicherheitslage hatte sich auf türkischen Boden verändert. Es war der schwerste Bombenanschlag an der türkisch-syrischen Grenze seit Beginn der Krise.

Dank unserer lokalen Netzwerke, der Maram Foundation und unseren Verwandten und Aktivisten von Ort hielten wir täglich intensiven Kontakt, schon nach wenigen Tagen beruhigte sich die Lage, Verantwortliche waren gefasst – keine Syrer – das war wichtig für unsere Reise, alles andere hätte zusätzliche Komplikationen bedeutet. Die täglichen Lageberichte spiegelten eine stabile Lage wieder – unsere Reise wurde wieder vertretbar. Zu dieser schnellen Lageeinschätzung kamen wir nur, weil wir syrische Menschen in unseren Netzwerken hier und vor Ort hatten, die uns verlässlich diese Informationen liefern konnten. Als Europäer mit nur englischen Kenntnissen wären wir nicht weitergekommen. Das war für uns auch eine der ganz großen Learnings – du muss zuverlässige „ Einheimische“ haben, die in beiden Kulturen zuhause sind. Ohne unseren Relationship-Manager mit seinem syrischen Hintergrund vor und während der Reise, wäre das alles nicht so problemlos verlaufen.

Für ihn und mich war klar wir fahren und die Clowns kommen dann nach, wenn wir die Lage Vorort als sicher einstufen. Dafür reisten wir einige Tage früher nach Reyhanli und Atmeh und konnten die finale Entscheidung der Clowns „fahren oder nicht“ noch mit unseren Berichten von Vorort unterstützen.

Bei unserer Ankunft in Hatay war die Lage ruhig, es gab zwar Straßensperren auf dem Weg nach Reyhanli ca. 45 km von Hatay entfernt, aber das lag eher am anstehenden Besuch von Erdogan am folgenden Tag als an dem vorherigen Bombenanschlag. Unser Taxifahrer gab uns bereitwillig Auskunft – wir hatten keine Verständigungsprobleme, denn viele Türken in dieser Region sprechen arabisch. Die Region Hatay gehörte ehemals zu Syrien bis sie 1938 per Volksentscheid türkisch wurde. Viele haben Verwandte auf der syrischen Seite und vor der Revolution fand ein reger Grenzverkehr zwischen der Provinz Haram (Syrien) und der Provinz Hatay (Türkei) statt.

Wir fühlten uns sicher. Das blieb auch am nächsten Tag so als wir Maram Foundation besuchten, unsere Zugangsausweise für das Lager bekamen und den ersten Grenzübertritt nach Syrien in Angriff nahmen. Was klar war, wir würden viel Warten müssen…in Reyhanli gab es einen provisorischen Checkpoint an dem sich alle Grenzgänger täglich registrieren mussten. In einer Traube von syrischen Flüchtlingen, die wieder nach Syrien wollten warteten wir geduldig bis wir die Zugangsgenehmigung erhielten.

Die Grenze war weitere 10 km entfernt. In einem Wagen wurden wir in ein türkisches Militärsperrgebiet gebracht und vor uns tauchten auf einem Hügel „Atmeh – The Olive Tree Camp“ auf. Ein Bergrücken voll mit zusammengeschusterten Zelten, mitten im Nichts. Uns trennte nur ein Stacheldrahtzaun von Syrien, die Minen dahinter waren bereits geräumt. Der eigentliche Grenzübergang war ein Loch im Zaun. Dieses Loch gibt es erst seit 12 Monaten – es sichert den Zugang zu Lager, die Versorgung der Menschen und Evakuierung der Verletzten – alles mitten in Nichts – kein Check-Point – nichts.

Das war also Atmeh – eine Zeltstadt ärmlich, dreckig mitten in einem Olivenhain – das nächste Dorf 15 km entfernt. Hier leben ca. 30.000 Menschen. Kein fließendes und knappes Wasser, wenige Latrinen, keine Duschen, eine Feldküche, keine Schulen!, keine Straßen – nur Sand, Steine, Müll und Zelte, oder das was nach Zelt aussah. Solche Bilder kannte ich nur aus den Slums in Afrika und Südamerika – ich war das erste Mal in meinem Leben in Syrien. Osman, unserem Relationship-Manager,sah ich an, das er dieses Syrien nicht kannte. Die Not war erdrückend. Hier leben alles Menschen die noch vor einigen Monaten eigene Wohnung, ein Haus, ein geregeltes Leben hatten und ihre Familien versorgen konnten – jetzt – alles verloren und hier Mitten im Nichts gestrandet! Sie waren ihren ungewissen Schicksal überlassen.

Junge syrische Flüchtlinge um die 19 Jahre holten uns an der Grenze ab. Sie waren für die kommende Woche unsere „Bodyguards“, zuständig für unsere Sicherheit und unser Wohlergehen im Camp. Für sie waren wir das absolute Highlight – endlich eine Aufgabe. Ihr Tag ist sonst von Warten und Nichtstun geprägt, die einzigen Highlights sind Nachrichten von der Front. Sie selber waren vor ihrer Flucht im Abitur, in der Ausbildung oder wollten sich gerade an der Uni einschreiben. Ihre Träume sind die gleich unserer Jugendlichen – Waffen und Kampf wollen sie nicht. Es berührt ihre Sehnsüchten und Träumen zuzuhören – werden sie sie je umsetzten können?

Die Kinder warteten schon gespannt auf die „Neuen“, jede Form der Abwechslung wird begierig aufgenommen, sie stürzen sich förmlich auf uns – Fragen über Fragen und dann die erstaunten Blick – „Ihr redet arabisch?!“ – eine Sensation! „Was macht ihr hier?“ – „Wir kommen mit den „Muharrijschun“ – das arabische Wort für Clowns. Es sprach sich rum wie ein Lauffeuer – die „Muharrijschun“ kommen! Wir waren uns sicher – morgen früh würden die Kinder an dem Loch im Zaun/der Grenze auf die Clowns warten – voller Vorfreude und Sehnsucht auf etwas Abwechslung in dem bedrückenden Lageralltag – und so war es dann auch…..

Die für uns eindrucksvollsten Momente der Reise mit den Clowns waren sicherlich:

· Der syrische Chefarzt „Yaser“ in der Klink in Reyhanli, Türkei der uns vor dem Auftritt sagte, „Wenn ihr Nichts besseres zutun habt, als bei uns in der Klink zu spielen, dann kommt“ und nach der Vorstellung der Clowns uns zum Abschied nur festdrückte, nichts sagen konnte und dicke Tränen in den Augen hatte. Er hatte seit mehr als 1,5 Jahren sein Personal und seine Patienten und deren Familien noch nie gemeinsam lachen und ausgelassen gesehen und war für eine Stunde Teil dieser ausgelassenen Gesellschaft gewesen. Sein Alltag sind Amputationen, traumatisierte Menschen und Schwerstverwundete…

· Das Mädchen Maysa (13 J.), das durch einen Schafschützen des syrischen Regimes vor dem Haus in den Rücken getroffen das und querschnittsgelähmt wurde als sie vor dem Haus mit anderen Kindern spielte. Maysa lebt seit mehreren Monaten in der Klink, nie hat man sie strahlen gesehen, geschweige denn ausgelassen Lachen. Der Clownsauftritt ließ sie ihr Schicksal für einen Augenblick vergessen und wir sahen sie Lachen – so Lachen….

· Die drei traditionellen Männer im Camp in Atmeh, die beim Walk Act der Clowns zwischen den Zelten die Situation skeptisch beäugten und als Osman sie ansprach, um möglichen Ärger frühzeitig zu begegnen nur fragen „Was sind das?“, „Woher kommen sie?“ und „Wer hat Sie hierher gebracht?“ Osman erklärte kurz die Intention unseres Besuches und die drei Männer sagten nur:“ Essen und Trinken ist wichtig, aber das hier ist das Beste was wir hier je gesehen haben. Seit wir hier im Camp sind haben wir unsere Kinder noch nie so lachen gesehen!“

· Der für uns bewegenste Moment aber war, als ein Kommandeur der freien syrischen Armee (FSA), der an der Grenze verletzte Solden zurück aus der Türkei abholte und beim Warten auf die Krankenwagen dem Treiben der Clowns zuschaute. Osman kam mit ihm ins Gespräch und fragte ob sie noch Männer an der Front brauchten. Seine Antwort war: „ Jeder hat seinen Platz in dieser Revolution unser ist an der Front und euer hier bei den Kindern. Sie brauchen Menschen wie euch so sehr“.

Er hatte vor 10 Tagen seinen 17 jährigen Sohn im Kampf verloren. Sein zweiter Sohn und sein Bruder waren gerade auf dem Weg nach Al-Qusair an der libanesischen Grenze, eine der umkämpftesten Regionen zu dem damaligen Zeitpunkt…

Meine tiefe Hochachtung gilt diesem Mann, der trotz des Verlustes seines eigenen Kindes und dem Krieg seine empathischen Fähigkeiten nicht verloren hatte und sein Herz nach wie vor für die Schönheit des Lebens und den Spaß der Kinder öffnen konnte. Nur seinem versteinerten, harten Gesicht sah man das an was er jeden Tag erlebte, seinem Herzen aber nicht.

War die Reise ein Erfolg? Die Bilder der lachenden Kinder und Erwachsenen sprechen für sich. Die Fragen: „wann kommt Ihr wieder?“ ebenfalls. JA das war es. Und wir können für uns sagen, das war das Beste was wir bis jetzt in unserem Leben zustande gebracht haben!

Danke an die Clowns für die Mut und das Vertrauen,, diesen Weg mit uns für die syrischen Flüchtlinge zugehen. Ihr habt diesen Menschen Hoffnung, Leichtigkeit und Freude für einen Augenblick geschenkt. Ihr habt unvergessliche und positive Momente auch in ihrer verzweifelten Lage gegeben – Chapeau!

Jessica & Osman

Persönlicher Reisebericht von Miriam

10.09.2013

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…Äh… okay… dann fang ich mal an… mit meinem Syrien-Bericht… nichts leichter als das… also…: ?

Wie oft sagt man „Das ist nicht in Worte zu fassen!“ – und wie sehr habe ich jetzt in diesem Moment WIRKLICH, TATSÄCHLICH das Gefühl unsere Reise nach Syrien Ende Mai nicht in Worte fassen zu können.

Wo soll ich anfangen?

Wie kann ich all das Erlebte beschreiben was ich gemeinsam mit meinen Kollegen auf unsrer Syrien-Reise erlebt habe?

Was ist an Emotionen hängen geblieben, was in Erinnerung geblieben von den Bildern die wir gesehen und irgendwo abgespeichert haben?

A propos Bilder und „abgespeichert“:

Die fantastischen Fotos von Thomas Victor, die man auf dem Weblog sehen kann, sprechen Bände und drücken mehr als Worte aus. Ich verweise also zunächst auf die Bilder, damit ein 1. Eindruck über das Erlebte gewonnen werden kann.

Was ich gleich zu Beginn sagen kann:

Diese Reise hat mich zutiefst erfüllt und meiner eigenen Überzeugung um Kilometer näher gebracht, dass jeder einzelne Mensch, ob Kind oder Erwachsener, ob Busfahrer, Verkäufer, Rezeptionist, Grenzbeamter, Flüchtling oder FSA-Soldat,…

JEDER will gesehen und wertgeschätzt, respektiert und ernst genommen werden! Zusammengefasst bedeutet das ganz einfach: Liebe.

Es mag zu romantisch für den ein oder anderen klingen. Liebe… Liebe… also, Liebe… ach…, jaja…!

Selbst wenn ich es jetzt lese wirkt es nicht mehr so wie ich es eigentlich meine. Es ist aber auch schwer in Worte zu fassen – das Alles!

Neuer Versuch:

Das Gefühl welches in mir dort in diesem Land immer wieder hochkam, völlig unbewusst, ist: Vertrauen und Hoffnung.

Hört sich das besser an? Naja.

Vertrauen und Hoffnung

Ja, damit bin ich aufgewachsen. Vertrauen und Hoffnung. Das begleitet mich tagtäglich.

Vertrauen und Hoffnung in das Flugzeug nach Istanbul und Hatay,

Vertrauen und Hoffnung in das klapprige Autotaxi eines uns unbekannten Abholers am Flughafen Hatay, der uns lächelnd eine Stunde durch die Landschaften nach Reyhanlı/Türkei an die türkisch-syrische Grenze fährt,

Vertrauen in die Menschen, die mir bis zu unsrer Ankunft mehr oder weniger unbekannt waren, die uns überhaupt erst ermöglicht haben, diese Reise machen zu können,

Vertrauen in NGOs (Non-Governmental-Organizations), über die wir in die Flüchtlingslager in Syrien einreisen konnten,

Vertrauen in den Menschen, der uns mit einem Maschinengewehr am Grenzübergang gegenüber steht,

Hoffnung, dass die Schüsse die wir beim Warten am Grenzübergang in der Nähe hören, nichts Schlimmes bedeuten (…es fand im Flüchtlingslager eine Hochzeit statt…),

Hoffnung, dass der Panzer, der sich beim Warten am Grenzübergang nähert einfach vorbei fährt…

Hoffnung, dass jeder Mensch, dem ich begegne es ebenso gut mit mir meint wie ich.

Hoffnung und Vertrauen, dass ich wohlbehalten wieder nach Hause zurückkehre.

Dabei ist aber auch das Vertrauen der Menschen hier in Deutschland in mich und unsre Reise gemeint, die „Clowns ohne Grenzen“-Menschen, die uns abreisen ließen, meine Familie und Freunde ebenso, die meine Entscheidung mitgetragen haben.

Vor meiner Abreise hätte ich mir nicht in meinen wildesten Träumen ausmalen können, in welche Gesichter und Augen ich auf unserer Reise blicken werde.

Da waren Augen dabei, die viel Schlimmes gesehen haben, Herzen, die einige Male gebrochen wurden, Traurigkeit, die immer wieder aufbricht, Angst vor der Zukunft und so unendlich Vieles mehr.

Wenn man alles verloren hat, Hab und Gut, Familienmitglieder beerdigen musste (wenn denn dazu die Möglichkeit bestand), weil sie in diesem so unfassbaren Krieg getötet wurden, dann kann der Mensch doch nur verbittern und Wut und Hass die Oberhand gewinnen.

Oder nicht?

Tatsachen

Das Leben in der Stadt und in den Flüchtlingslagern geht weiter.

Jeder Mensch bemüht sich dort aus innerstem Antrieb heraus die Hoffnung, dass es besser wird, nicht aufzugeben. Wirklich: die Hoffnung stirbt zuletzt!

Und zum Glück ist das Vertrauen in fremde Menschen, wie wir es dort im ersten Moment waren, nicht verloren gegangen.

Reyhanlı/Türkei

Eine Stadt mit ca. 60.000 Einwohnern.

Zwei Wochen bevor wir hier mit dem Taxi antrafen, wurden zwei Autobomben an zentralen Punkten der Stadt gezündet. Dabei kamen 51 Menschen ums Leben.

Als wir hier in Deutschland davon erfuhren, war ich mir sicher, dass unsre Reise nicht stattfinden wird. Zu gefährlich. Die Menschen dort brauchen etwas anderes als uns.

Mit Heiko Mielke (mein Mit-Clown und Reiseleiter), Osman und Jessica (Privatpersonen, die als Logistiker unverzichtbar sind), Dunja (Barada Syrienhilfe e.V. und ebenfalls unverzichtbar) und Thomas (unser Fotograf – auch… richtig: unverzichtbar) einigten wir uns darauf, hauptsächlich auf Aussagen von Menschen vor Ort zu vertrauen, ob unsre Reise „Sinn“ macht oder nicht.

Dunja, Osman und Jessica reisten ein paar Tage vorher an und versicherten uns, dass die Lage in Reyhanlı entspannter sei, als sie in den Medien dargestellt wurde.

Wir vertrauten darauf und flogen am 25. Mai 2013 hinterher.

Mit unserem Fahrer, der uns mit einem liebevoll gestalteten post-it-Zettel in der Hand am Flughafen Hatay abholte, verständigten wir, Heiko, Thomas und ich, uns mit Händen und Füßen und hatten eine wundervolle Unterhaltung die ganze Fahrt über.

Je näher wir an unser Ziel kamen, desto mehr Polizei und Militär bekamen wir an den Straßenrändern mit. Erdogan war just an diesem Tag in Reyhanlı zu Gast um sich 2 Wochen nach den Bombenanschlägen ein Bild der Lage vor Ort zu machen.

In der sehr lebendigen Stadt angekommen, fuhr uns unser Fahrer an den beiden Plätzen, an denen die Bomben so viele Menschen in den Tod rissen, vorbei und erklärte auf arabisch-türkisch bis wohin die Detonationen zu spüren waren.

Kinder spielten an den jeweiligen Stellen, die freie Spielflächen boten, umliegende Häuser waren schwarz gefärbt oder vom Einsturz bedroht, Märkte errichtet und das bunte Leben in vollem Gange.

Das Leben geht weiter.

Später wurde uns auch erzählt, wie die Reaktionen von Menschen waren, die die Explosionen miterlebt und gesehen hatten.

Syrische Menschen zeigten kaum Regung und schauten „einfach“ nur zu, türkische Menschen, die so etwas noch nie erlebt hatten, waren schwer erschüttert und geschockt.

Man sah gleich wer so etwas schon öfter erlebt hatte und wer nicht.

Im Hotel angekommen wurden wir freundlichst von jungen Hotelangestellten, teils Syrer, teils Türken auf türkisch-arabisch-englisch empfangen. Und auch Osman, Jessica und Dunja bekamen wir zum ersten Mal zu Gesicht.

Ein vertrauensvolles Sympathieempfinden war sogleich erwacht und trug unsere Vertrauens-Beziehung durch die ganze Reise hindurch.

Nachdem wir die Kommunikationsnetze wie WLAN auf unseren Computern und Handys installiert hatten, um unser gutes Ankommen in der Heimat mitteilen zu können, sprachen wir über die kommenden Tage, Wünsche und Vorstellungen.

Heiko und ich gingen abschließend nochmals die Show durch (wie dann auch die darauffolgenden Abende) die wir am nächsten Tag vor dem Hotelpersonal und unseren Leuten als Generalprobe vorspielten.

Diese verlief hervorragend. Das nebenan liegende Sudentenwohnheim mit vielen Balkonen blickte direkt auf den Innenhof und durch die teilweise ungewohnten Geräusche in unsrer Show kamen immer mehr Menschen dazu und schauten uns dabei zu. Ein Kichern und Lachen ging herum, staunende und ungläubige Blicke wurden uns entgegen gebracht und wir spürten schnell, wie sich die Stimmung allein hier im Innenhof plötzlich mit Leichtigkeit füllte. Und das fühlte sich ganz wundervoll an.

Sorgen unsrerseits, ob manche Dinge in der Show vielleicht nicht funktionieren oder falsch verstanden werden, verflogen sofort im Wind.

„Die Kinder werden euch lieben!“ – das war das schönste Feedback das wir bekommen konnten.

Auftritte in zwei Lagern, in Schulen für syrische Flüchtlingskinder, Waisenhäusern und in einer Reha-Klinik für Kinder und Erwachsene

Davor war ich schon ziemlich aufgeregt.

Wie wird das sein – außer heiß?

Aber auch hier möchte ich auf die Bilder von Thomas verweisen.

Es waren Unmengen an Emotionen die uns entgegen gebracht wurden – sowohl von den Kindern als auch von den Erwachsenen.

Soooooo viele wache, dankbare, freudestrahlende Augen, so viele leere Blicke, die sich für kurze Zeit wieder mit Leben und Leichtigkeit füllen, ein Meer an staunenden Gesichtern, tanzenden Menschen, Händen, die nach uns greifen, sich an uns festhalten, Dankbarkeit, Dankbarkeit und… Liebe.

Die Bedürftigkeit gesehen zu werden – von JEDEM!

Kleine Jungs, die kurz zuvor ihre Väter verloren haben und so sehr den Kontakt zu Heiko, Thomas und Osman suchten, immer wieder nach deren Hände greifen und sich an anderen Kindern vorbei kämpfen um ganz nah bei ihnen zu sein.

Kleine Mädchen, die sich an Jessica, Dunja und mich wenden, sich die Arme von uns zu 5. teilen, uns berühren, bei uns stehen, uns anstrahlen, manchmal eine Geld-Geste machen, aber die auch irgendwann nicht mehr gemacht wird, weil sie merken, dass wir nicht mit Geld, sondern mit Zuwendung ausgestattet sind. Mit Blickkontakten, mit einem zärtlichen Streicheln über den Kopf, mit einer Umarmung,… mit allem, was man nicht mit Geld kaufen kann.

Aber es gibt auch Erwachsene, junge Männer, die mit sehr viel Energie ausgerüstet sind, nicht wissen wohin damit, sich vor uns wichtig machen, mit den Maschinengewehren herum spielen, sich gegenseitig mit den Mopeds aus Langeweile johlend über die Füße fahren, sich lachend Pistolen an den Kopf halten und „erschießen spielen“, FSA-Soldaten, die gerade „Urlaub“ im Lager machen, sich erholen von den Bildern, bei ihren Familien auftanken und mit Osman ins Gespräch kommen, spüren, dass ihnen WIRKLICH jemand zuhört und nach einigen geteilten Momenten die Tränen kommen, weil so viele schlimme Erinnerungen hochkommen und ausgesprochen werden, die sonst totgeschwiegen werden.

Es gibt junge Frauen, die sich Dunja mitteilen, sich beklagen, dass vor Ort die ausreichende medizinische Versorgung nicht immer gewährleistet werden kann,Frauen ihre Babys allein unter den Olivenbäumen zur Welt bringen müssen, die Verteilung der Nahrungsmittel ein großes logistisches Problem ist; Frauen, die nicht trauern können, nun alleine die Kinder durch bringen müssen, außer den Kleidern am Leib nichts anderes mehr haben,…

So viel Not, so viel Leid, so viel Traurigkeit – so sinnlos.

Es gab auch Kinder, die unsre Show nicht unbeschwert anschauen konnten, entweder, weil sie permanent von den Erwachsenen die Sicht genommen bekamen oder weil sie sich Sorgen um ihre Mütter, ihre Vater, die Eltern machten, die krank im Zelt lagen vor Schmerzen und keine Medikamente bekamen.

Mehrere NGOs die hier für die syrischen Flüchtlinge ihr Bestmöglichstes tun und trotzdem immer wieder an ihre eigenen Grenzen kommen.

Gute Kommunikation ist auch hier, wo Handys und Computer zum täglichen Arbeitsmaterial gehören, eher schwer. Befindlichkeiten und eigene Vorteile werden in jeder Situation gepflegt und gesucht. Es ist wie es ist.

Gespräch mit einem Kriegsfotografen

In unserem Hotel sind viele der NGO Helfer untergebracht. Auch Fahrer von LKWs mit Hilfsgütern treffen wir hier und kommen ins Gespräch.

Ein Gespräch mit einem 27-jährigen Kriegsfotografen hat mich sehr bewegt.

Er berichtet von seiner Familie, seinen drei Brüdern, die alle an der Front gegen das Regime kämpfen, einem Bruder wurde dabei in den Kopf geschossen und ist seitdem schwerstbehindert, er erzählt von Erlebtem in Aleppo, Damaskus, Idlib, Homs, erzählt, wie er 3 Mal gekidnappt wurde, wie er sich und seine Kamera vor Bombenangriffen und Einschlägen wenige Meter neben sich schützt, betend, sagt, dass er manchmal tagelang nicht schläft, weil er immer auf der Hut sein muss, erzählt von einer Frau, die weinend und schreiend um Hilfe bat, da deren drei erwachsene Kinder vor ihren Augen von Kämpfern erschossen und verbrannt wurden,…

Während ich ihm zuhöre, denke ich: „Würden diejenigen, die an der politischen Macht sind (egal ob in Syrien, Europa, Amerika,…) mit wirklich offenen Herzen und Ohren zuhören, was dieser junge Mann erlebt und gesehen hat, dann wäre der Krieg zu Ende. Und nicht nur dieser Krieg, sondern alle Kriege – überall.“

Ist das vermessen? Nein.

Rückreise

Nachdem der letzte Tag mit Abstand der anstrengendste und heißeste und die Nacht sehr kurz war, kam mir unsre Rückreise irreal vor. 2 Stunden Schlaf. Um 2:45 Uhr start mit einem Wackelauto zum Flughafen Hatay zurück, Flug nach Istanbul, Flug nach Hamburg und von dort zurück nach München.

Der Kulturschock hielt sich in Grenzen. Den hatte ich zu genüge bei vorherigen Reisen.

Aber was ich dieses Mal mehr denn je empfand: Innere Ruhe.

Und das trotz der anstrengenden Woche, trotz der vielen Bilder.

Es war wichtig und richtig, dass wir dort waren. Es war dringend notwendig den Menschen ein Zeichen der Solidarität zu schenken, ihnen ohne etwas im Gegenzug zu erwarten wirkliche Begegnungen zu schenken und gemeinsam zu lachen.

Freude zu teilen im größten Leid.

Das braucht jeder Mensch! Vor allem unter desolaten Umständen.

Jetzt

Jeden Tag aufs Neue kommen weitere schlimme Nachrichten aus Syrien. An der Situation hat sich seit Mai nichts geändert. Im Gegenteil.

Mir kommen immer wieder die Bilder hoch, die glücklichen Gesichter, das Lachen, die Gesänge der Menschen, die Freude, die Kontakte, der Austausch, das Leben im Lager, in der Stadt, das Weitergehen…

Menschen, mit anderen Hintergründen, Religionen, Erfahrungen, Verletzungen, Sehnsüchten, unterschiedlicher Bildung,… ALLE mit demselben Ziel und derselben Hoffnung:

Gesehen, wertgeschätzt, respektiert, geliebt zu werden und inneren wie äußeren Frieden zu haben!

Zukunft

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es besser wird.

Ich vertraue auf die Zukunft.

Gepostet am

19.03.2020