2019 Jordanien


14.10.2019 - 24.10.2019

Miriam Brenner, Philipp Marth und Scarlet Richter (Fotografin)


Diese Reise führt die Clowns ohne Grenzen Deutschland nach Jordanien. Begleitet uns hier in unserem Reiseblog und auf facebook!

Itinerary Date :23.10.2019

1. Tag

15.10.2019

Die ersten 24 Stunden in Amman sind durch. Es war der Tag der Rekapitulation. Falafel und Salata, aka Miri und ich haben uns vor bummelig vier Jahren das letzte Mal gesehen. Zwei, drei Mails waren alles, um uns im Vorfeld wieder in Erinnerung zu bringen. Die Aufgabe: die reibungslose Wiederaufnahme unserer Premium-Clowns-Show von 2015 im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Diesmal in den syrischen und palästinensischen Geflüchteten-Camps des Königreichs Jordanien.

Wir hatten als Referenz immerhin einen Videomitschnitt unserer allerersten damaligen Hauptprobe in München. Vieles wurde aber anschliessend im Reifeprozess wieder über den Haufen geworfen.
Wie also ging das alles nochmal? Wer zaubert wann welchen Jonglierball woher? Wie war nochmal die Verfolgungsjagd choreopraphiert? Was war eigentlich mit dem Kleiderbügel? Und wie könnte man alles noch geschickter zusammen bauen, als es eh schon war?
Geprobt wurde auf der Hotelterasse, das Wetter in einem der 10 trockensten Länder der Welt, meinte es gut mit uns, es war angenehm bewölkt und damit nicht zu heiss für die Mittagsprobe. Nach langwieriger Besprechung und Videoschau von 2015 wagten wir uns an einem ersten technischen Durchlauf. Über den zweiten Durchlauf brach dann schon die Dunkelheit herein. Ergebnis: Morgen um 10.00 Uhr gibt es noch einen Durchlauf, bevor wir dann endlich unsere erste Show in Jordanien spielen.

Als besonderes Schmankerl soll unsere diesjährige Tour Teil eines aufwändigen Dokumentarfilms werden. Dazu werden wir auf Schritt und Tritt von einem engagierten Filmteam begleitet, fürs erste sind das Scarlet an der Kamera und Hasan am Mikrofongalgen. Neben unserem eigenen Kuddelmuddel unter den Clowns, bekommt man also noch allerhand von deren technischem und organisatorischem Kuddelmuddel mit, das macht das ganze nochmal spannender. Zur Entspannung animieren die omnipräsenten Strassenkatzen zwischendurch zur Erstellung putziger Katzenvideos.

Soweit für heute von der sommernächtlichen Hotelterasse. Salam aleikum.

2. Tag

16.10.2019

Osman ist da!
Osman kam Mitten in der Nacht direkt aus Braunschweig zu uns geflogen, um uns bei unsrer Jordanien Tour als Übersetzer, Logistiker, Fahrer und überhaupt bei allem was fehlt zu unterstützen.
Osman hat 2013 zwei Touren nach Reyhanli, an die türkisch-syrische Grenze für und mit Clowns ohne Grenzen Deutschland organisiert. Er war damals schon ein Engel in kariertatmungsaktivem Hemd und hat durch seine hochsensible und diplomatische Art vieles Unmögliche möglich gemacht.

Osman habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Dementsprechend groß war die Freude heute Morgen.
Nachdem wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht haben, spielten Philipp und ich unsere Show so richtig mit Kostüm und – wie es sich gehört – allen Verfehlungen einer Generalprobe.

Unser Testpublikum bestand mindestens aus zwei kleine Mädchen, deren Vater (die Mutter spähte vom Zimmerfenster im 1. Stock herunter), sowie 2 Fußgängern, einem Taxifahrer, unserem Rezeptionisten und dem Herren von der Zahnarztpraxis gegenüber aus dem 4. Stock.
Philipp und ich merken danach beide, das die Show immer noch etwas zwickt und zwackt, sind dennoch sicher, dass die Show am Nachmittag im SOS Kinderdorf in Amman hervorragend laufen wird. Immerhin haben wir damit vor 4 Jahren so viele Menschen zu einem herzhaften Lachen verhelfen können. Warum sollte es also jetzt nicht klappen?
Vielleicht sind wir auch einfach zu streng zu uns selbst!?

Übrigens sitze ich gerade unter einem dichten Nadelbaum auf unserer Hotelterrasse.
Osman, Philipp und Scarlet sitzen um mich herum. Wir suchen Schutz vor dem Regen, der uns und der jordanischen Luft gut tut.
Wie Philipp bereits erwähnt hat, ist Jordanien zwar eines der 10 trockensten Länder der Welt, doch wir bekamen seit unserer Ankunft an jedem Tag ein paar Tropfen vom Himmel geschenkt.

Das Wetter sorgte heute Nachmittag auch für einen kurzen magischen Moment.
Während ich meine Seifenblasen aus dem roten Bären für die ca. 60 palästinensischen Waisenkinder aus drei unterschiedlichen Einrichtungen kitzelte, ging plötzlich ein Staunen und Raunen durch die Kinder und Erwachsenen. Gerne hätte ich es lediglich auf meine Seifenblasen bezogen, doch ich sah relativ schnell ein, das es nicht an den kleinen durchsichtigen Kugeln lag, sondern an dem riesigen Regenbogen, der sich hinter den Zuschauern über den Himmel hinweg zog.

Wir staunten alle und hielten inne. Ein Junge kam plötzlich zu mir und umarmte mich, und es kam mir so vor, als danke er mir nicht nur für den Regenbogen.

3. Tag

17.10.2019

Nach der Rückkehr im Hotel geht Miri noch schnell zum Kiosk nebenan, um etwas Feierabendsaft zu besorgen. Der Kioskverkäufer schaut sich gerade Videos auf seinem Handy an. „Nice Show“, sagt er, als Miri zur Kasse geht. Und zeigt ihr, was er sich gerade auf seinem Smartphone anschaut: Unsere Show von heute nachmittag wurde live gestreamt und bereits 50 mal auf Facebook geteilt! „All Jordan see your show!“

Wir waren heute in Talbieh, etwas ausserhalb von Amman, eine Siedlung, 1967 von palästinensischen Geflüchteten aus dem Westjordanland gegründet, die zwar mittlerweile aus gemauerten Häusern besteht, aber von den Bewohnern immer noch als Lager definiert wird.

Ankunft am Mittag im Hause von Sharhabeel, dem Oberhaupt von Talbieh, man könnte auch sagen: in der Residenz des Sheiks von Talbieh. Sharhabeel’s Vater hat Talbieh dereinst gegründet.
In einem der geräumigen Empfangszimmer, gesäumt von rundum laufenden Chaiselongues, wird bei Minztee und Bonbons dreisprachig gesmalltalkt und anhand von historischen Landkarten werden wir ein wenig in die wechselvolle Geschichte von Palästina und Israel eingeführt.

Es wird übrigens streng differenziert, zwischen den Juden, als Religionsgemeinschaft und dem Staat Israel. Und man kann hier übrigens sein Teeglas zu gut einem Drittel mit Zucker befüllen, ohne dumm aufzufallen.

Wie es so meine Art ist, dränge ich nach einiger Zeit, mit den Vorbereitungen für unsere Show zu beginnen, nicht, weil mich die Hintergründe zur Familiengeschichte nicht interessieren würden, sondern weil wir nun mal in erster Linie gekommen sind, um eine gelungene Vorstellung hinzulegen. Und dafür braucht es eben vorweg ein wenig Zeit und Konzentration.
In unserer Garderobe, offenbar dem Nähzimmer des Hauses, schläft ein kleines Kind auf einer Matratze am Boden. Also, pssst! Schön leise ums Kind herum umziehen und Requisiten präparieren.

Wir beginnen dann mit einer lautstarken Parade durch die baufälligen Gassen des Viertels, um unsere erste Show anzukündigen, die dann auf dem zentralen Kreisverkehr mit etwa 100 begeisterten Zuschauern stattfindet.

Nach kurzer Verschnaufpause gibt es die zweite Show, diesmal vor ca. 500 Kindern (diesmal waren auch die grösseren dabei, die jetzt Schulschluss hatten), aber auch vielen Erwachsenen. Und, sozusagen als Ehrengast, war auch Haja Schamieh bei unserer Show zugegen. Haja Schamieh, sie muss bestimmt 90 Jahre alt sein, ist die einzige noch Lebende, der 1948 aus Palästina Emigrierten. Alle anderen sind bereits in diesem Slum auf jordanischem Gebiet geboren.

Wir haben uns also, angefeuert durch enthusiastische Schlachtgesänge, durch unsere zweite Show gebrüllt und wurden nach dem Finale und dem obligatorischen Fotoshooting vom fast kompletten Publikum (ich denke Haja Schamieh ist mit ihren 90 Jahren nicht mehr mitgelaufen, aber ich habe da den Überblick verloren) mit einem gewaltigen Umzug und aus 500 Kehlen geschmettertem Hochzeitsmarsch (sic!) bis zu unserer Garderobe begleitet. Big Emotions!

Niemals zuvor gab es in Talbieh irgendetwas, das auch nur in die von Richtung Theater oder Circus ging. Niemals zuvor hat er die Kinder des Viertels so Lachen sehen, versicherte uns Sharhabeel. Mehr braucht man eigentlich nicht, um die Idee hinter Clowns ohne Grenzen zu erklären.

Anschliessend hat uns unser Gastgeber mit einem seiner sechs Brüder und keiner seiner sieben Schwestern zu einem fürstlichen Abendessen eingeladen, währenddessen wir über unser Goldstück Osman, unseren Tour-Manager, Fahrer und Übersetzer weitere Einzelheiten über die politischen Wirren in diesem nahöstlichen Melting Pot lernen durften.

Erst auf der Rückfahrt durch die abendliche Rush-Hour Ammans, merkte man unserem arabisch, englisch und deutsch sprechendem Osman im Auto ein wenig Konzentrationsschwäche an, als er, zwischen unseren Diskussionen um die Eindrücke des heutigen Tages und die Planungen für den folgenden Tag, unseren arabisch und englisch sprechenden Tonmann Hasan nach hinten rufend, nach dem Weg fragt: „Hasan, geradeaus?“ „Chu?“ fragt der zurück. Das sprachliche Missverständnis hat sich knapp, aber noch rechtzeitig aufgelöst, sodass wir gerade noch mal die Kurve gekriegt haben. Wir mussten abbiegen.

4. Tag

18.10.2019

Heute ist Freitag. Feiertag. Jumuah.
Bis zum Nachmittag wirken die Straßen wie leer gefegt. Alle Menschen sind mit ihren Familien zusammen, beten und essen gemeinsam. Uns wird gesagt, dass wir vor 15 Uhr keine Show spielen können, da die Kinder eben auch anderweitig beschäftigt sind.

Wir nutzen die Zeit, um uns einen Überblick über die kommenden Tage zu verschaffen.
Osman telefoniert, Scarlet interviewt Philipp, Hasan hält die Tonangel und ich kümmere mich um meine Showsocken, die sich in ihre Einzelteile auflösen möchten.

Fertig umgezogen und präpariert starten wir in Richtung Tunaib.
Wir brauchen ein bisschen bis wir zwischen all den Gewächshäusern, Feldern und Hügeln ein provisorisches Flüchtlingslager mit ca. 100 syrischen Familien finden. Die meisten der dort lebenden Menschen sind vor 4 Jahren hier her geflohen.
Es gibt eine selbst gebaute Schule aus 3 Containern. Einige der hier lebenden Kinder werden entweder von einem Lehrer unterrichtet oder gehen auf die nächst gelegene jordanische Schule.
Die meisten Menschen arbeiten in den unzähligen Gewächshäusern. Dort wachsen ausschließlich Tomaten. Nach zwei Tomaten Ernten wird zum Ausgleich Zucchini angebaut. Ein paar Kilometer weiter gibt es eine Fabrik, in der auch ein paar der älteren Kinder arbeiten.
Aufgrund des Krieges und den geschlossenen Grenzen zu Irak und Syrien ist der Verkauf einer Kiste Tomaten von 10 auf 2 Dinar gefallen (1 Dinar = 1,28 €).
Die Flüchtlinge hier sind komplett auf sich allein gestellt. Keine NGO hat bisher den Weg zu ihnen gefunden.

Als wir aus unserem Auto aussteigen, dauert es nicht lange, bis wir von neugierigen Kleinen und Großen umzingelt sind.
Es ist kurz nach 5. Wir müssen uns ein bisschen beeilen, da die Sonne um 18 Uhr untergeht und wir nicht im Dunkeln spielen können.
Schnell ist ein passender Platz gefunden und die Kinder wissen dank Philipps Bühnenmalerei mit Stecken bis wohin sie sich setzen können.

Die Kinder folgen uns auf Schritt und Tritt mit ihrer Aufmerksamkeit. Alles wir aufgesogen, vieles sofort nachgemacht, „Salata“ und „Falafel“ Rufe sind sicherlich weit über die Gewächshäuser-Reihen hinaus zu hören.
Alle sind hin und weg von unsrer Show. Lachen. Schreien. Tanzen. Johlen. Alles zusammen.

Die Sonne verschwindet hinterm Horizont und wir sind am Ende unsrer Show. Es ist schwer den Weg zurück zum Auto zu schaffen, da jeder von uns von Kindern umzingelt ist.
Und dann fängt das an, was ich bisher auf einigen meiner Reisen erlebt habe:
Die Kinder sind so aufgedreht und voller Energie, dass einige gar nicht genau wissen, wie sie damit umgehen sollen. Manche können nicht mit ihren Kräften umgehen – ziehen an meinen Fingern, zwicken, kratzen sich gegenseitig, versuchen mein Akkordeon an sich zu ziehen… Es ist schwer die Menge zu beruhigen, so dass uns eigentlich nur noch der Rückzug ins Auto bleibt. Auch als wir durch das Fenster die vielen Hände schütteln bleibt es wild. Irgendwann liegen plötzlich 2 Tomaten zwischen Philipp und mir. Ein paar der Jungs haben diese durch das Fenster auf die Sitzbank geworfen. Dass mit Tomaten nach uns geworfen wird, nehmen wir nicht persönlich, sondern freuen uns über diese Morgen zum Essen.

Und jetzt ab ins Bett. Unser Wecker geht sehr früh, da wir um 8:30 Uhr in Zaatari sein möchten – einem Flüchtlingslager mit ca. 80.000 Menschen.

5. Tag

19.10.2019

Heute war der grosse Tag, der uns nach Za’atari bringen sollte. Za’atari ist das grösste Flüchtlingscamp auf jordanischem Boden mit mittlerweile ’nur noch‘ 78.000 Bewohnern, in den Hochzeiten des Bürgerkriegs in Syrien waren es 150.000.
Es war ein grosser Tag, ohne Frage. Was unsere Clownsperformances angeht, war er eher mittelgross. Aber der Reihe nach:

Aufbruch mit unserem Miet-Van in aller früh um 7.00 Uhr. Erst an der Tankstelle bemerken wir den platten Reifen, dessen Reparatur uns die erste Stunde kostet. Den langen Schnitt im Reifen verbuchen wir allerdings nicht als heimtückischen Attentatsversuch militanter Spassverderber, sondern als Resultat eines Vorschadens. Könnte aber auch unsere gestrige Offroadfahrt zu den Landarbeitern gewesen sein.
Die eigentliche Fahrt nach Za’atari verlief zügig, wir mussten lediglich einen kurzen Zwischenstopp für’s Kamele knipsen (ein Kamelfoto hatte ich meinen Töchtern versprochen) und für den Kauf neuer Socken für’s Falafel-Kostüm einlegen. Die langwierige Registrierung am Checkpoint des Refugee-Camps hatten wir eingeplant. Die Filmerlaubnis des königlichen Innenministeriums und die Zugangsberechtigungen für uns fünf hatte Scarlet lange im Vorfeld eingeholt. Reine Formsache also, die sich aber dennoch über eine Stunde hinzieht. John Travoltas jordanischer Doppelgänger, der hier im Camp die Polizeileitung innehat und vor uns bereits Frank-Walter Steinmeier und Joachim Gauck empfangen hat, sollte uns während unseres gesamten Aufenthalts zur Seite sein. Während wir bei ihm im Bürocontainer sassen und warteten, dass von höherer Stelle die Rückversicherung über die unbedingte Harmlosigkeit unserer Clowncombo kam, konnten wir auf dem Terminkalender an der Bürowand bereits den demnächst geplanten Besuch ranghoher EU-Politiker ausmachen.
Za’atari also eine Institution der Superlative, in der sich die Wohlfahrtsorganisationen von allen fünf Kontinenten die Klinke in die Hand geben und mit Schulen, Elektrizitäts- und Wasserverorgung, Spielplätzen, Baracken- und Strassenbau und allem was dazu gehört, ihr Scherflein beitragen, um das Camp am Laufen zu halten.

Daraus folgte für uns dann allerdings auch, dass es trotz Vorlage aller Genehmigungen, doch nicht so einfach war, für unsere Show einen geeigneten Platz auf dem 7 Quadratkilometer grossen Areal zu finden. Denn die verschiedenen Organisationen vor Ort, haben alle ihre eigenen Regeln. Auf dem bewachten Spielplatz, betrieben von einer der bekanntesten Hilfsorganisationen weltweit, durften wir darum trotz behördlicher Absegnung nicht filmen, weil dieser Spielplatz eben unter der Oberhoheit besagter Hilfsorganisation stand. Bis das geklärt war, verging wiederum eine gute halbe Stunde, die uns zum Abwarten im nächsten Bürocontainer zwang. Auf ‚freiem‘ Gelände wiederum durften wir nicht spielen, weil die Travolta-Polizei keinen begeisterungsbedingten Aufruhr riskieren wollte.
Das führte also dazu, dass es erstens keine Gelegenheit für mein mir so hochheiliges Aufwärmtraining vor der Show gab und zweitens, dass es für unser Filmteam hiess: „Wir müssen draussen bleiben.“ So erklärt sich auf den Fotos der Maschendrahtzaun zwischen den Clowns und dem Kameraobjektiv. ‚Cause we never give up!

Da die Aufenthaltsgenehmigung im Camp jeweils nur bis 15.00 Uhr gilt, haben wir nach der ersten Show beschlossen, es für heute dabei zu belassen und den Eindruck, den wir mit unserer Vorstellung bei den Verantwortlichen (und bei den Kindern natürlich!) schinden konnten, als Argumentationshilfe für einen zweiten Versuch morgen zu nutzen, um bessere Auftrittsmöglichkeiten auszuhandeln.
Stattdessen haben wir eine kleine Sightseeing-Tour durch das gigantische Lager gemacht, das zwar nach wie vor aus Zelten und Baracken besteht, in dem es aber alles gibt, was auch zu einer richtigen Stadt so dazugehört: Schulen, Krankenhäuser, Feuerwehr, sogar ein Kino und eine Einkaufstrasse mit nicht weniger als 1200 Geschäften: Von der Fahrradwerkstatt über Sanitärbedarf und Spielzeugläden bis zur Brautkleid-Boutique. Transportiert werden die Waren mit Fahrrädern, Autos und vielen Esel-und Pferdekutschen.
Weil der Bau der Geschäftsbaracken von einer französischen Hilforganisation gefördert wurden, hört die Einkaufsstrasse auf den schönen Namen Sham-Elysee. Das ist kein Tippfehler. Sham ist der umgangssprachliche Begriff für die syrische Hauptstadt Damaskus. In einem der Restaurants mit brüllend lautem Stromgenerator vor dem Tresen, haben wir zum Abschluss mit Herrn Travolta und seinen Polizeikollegen zu mittag gegessen (was faktisch unser Frühstück war). Zwar musste man von seinen Komfort- und Hygieneansprüchen einige Abstriche machen, es war aber dafür die beste Küche, die wir auf unserer Reise bisher hatten.
Morgen also zweiter Versuch. Es bleibt spannend. Stay tuned!

6. Tag

20.10.2019

Unsre Fotografin und Dokumentatörin Scarlet hat Geburtstag.
Ganz entzückend haben Philipp und Osman ein paar gepflückte Blumen von Nachbars Garten im Glas und eine Art Kuchen vom Supermarkt auf einem der beiden Tische auf der Hotelterrasse trappiert. Das ganze vor 8 Uhr morgens. Es war wirklich rührend.

Nach den langen Diskussionen gestern, den zig Telefonaten sowie Emails an unterschiedliche Ansprechpartner und einer latenten Unsicherheit, ob wir die Erlaubnis bekommen, heute ein weiteres Mal in Za’atari spielen zu dürfen, setzen wir 5 uns hoffnungsvoll ins Auto und fahren trotzdem durch Ammans Rush Hour 1 1/4 Stunden Richtung Za’atari.

Um 9:45 Uhr kamen wir am Eingang zum Flüchtlingslager an. Warten. Telefonieren. Zum Polizeibüro. Warten. Pässe zeigen. Kopieren. Telefonieren. Schneller als gestern wurden wir zu Mohammed gebracht, dem hiesigen Liaison Officer von UNHCR.
Er machte uns schnell verständlich, dass er auf unserer Seite ist, und er alles ihm in der Macht Stehende tun werde, damit wir „joy and laughter“ (Freude und Lachen) zu den Kindern bringen können. Er sagte, dass es mehr von unserer Arbeit hier im Camp geben müsse.
Dennoch war zunächst nur die Rede davon, Morgen oder Übermorgen Shows spielen zu können. Sie benötigen viel Vorbereitungszeit, um die Kinder zusammen zu bekommen, für genügend Sicherheit zu sorgen und wegen den Foto- und Filmrechten die Flüchtlingsfamilien zu informieren.

Insgesamt leben in Za’atari an die 45.000 Kinder. Die Infrastruktur ist, wie gestern bereits von Philipp beschrieben, wirklich enorm. Supermärkte, Tierhandlungen, Fahrrad- und Autowerkstätten, Falfel Stände, Friseurläden, Brautkleid Boutiquen,… Freizeitangebote wie Kino, Zumba, Tanzen,…
Die Schule mitsamt der Schulmaterialien sind hier für die Kinder kostenlos. Es besteht ein respektvolles Miteinander zwischen den Sicherheitsleuten und den Flüchtlingen. Auf dem gesamten Gelände sind Waffen verboten. So werden etwaigen Gewaltausbrüchen erst gar keine Chance gegeben.

Ich weiß nicht mehr genau wie und wann und warum letztlich dann doch ein Auftritt um 14 Uhr für uns Clowns möglich wurde. Sie wurde als „Pre-Show“ etikettiert. In einem überdachten Schulbereich durften wir ein paar Auszüge unsrer Show spielen, damit die Erwachsenen und ein paar Kinder sehen, was sie Morgen von uns zu erwarten haben.
Es war ein voller Erfolg!

Eine Reihe älterer Herren hatten wir relativ schnell als unsre Vorklatscher und Mitmacher gewonnen. Sie freuten sich ebenso wie die Kinder über Missgeschicke und Hänseleien von bzw. zwischen Salata und Falafel.

Unsre Begleiter von der Polizei und Omar von UNHCR sagten danach, dass es schön wäre, wenn wir jeden Tag hier sein könnten. Auch konnten wir die Polizei von unserer Kunst der „taktischen Verabschiedung“ überzeugen. Sie hatten nämlich zunächst Sorge, dass die Situation schnell kippen könnte, die Kinder über uns „herfallen“, wenn wir zu lange nach der Show bleiben würden.
Wir verabschiedeten uns jedoch so elegant, dass wir dafür Respekt von oberster Stelle ernteten.

Länger hätten wir sowieso nicht mehr bleiben können, da wir 1 1/2 Stunde zum zweiten Spielort benötigten. Ähnlich wie vor zwei Tagen, erwarteten uns ein paar Familien, die in selbst gebauten Zelten und Blechhütten inmitten unzähliger Gewächshäuser leben.
Als wir ankamen saßen die Kinder bereits auf Teppichen, die zwischen den Zelten platziert waren. Der Boden war lehmig und durch die Teppiche hatte Philipp für seine Einradnummer zum Glück genügend Halt.

Diese Familien mitsamt der Kinder haben so etwas sicher noch nie erlebt. Es war so herzerwärmend, wie uns die Kinder während und auch nach der Show anschauten, sie strahlten, uns umarmten, „Thank you“ oder „I love you“ zuriefen.

Als wir mit dem Auto langsam auf dem unebenen Feldweg zurück zu einer geteerten Straße fuhren, liefen uns einige Kinder mehrere hundert Meter weit nach. Sie strahlten übers ganze Gesicht, riefen unsere Namen, winkten, schickten uns Küsse per Handzeichen zu,… ein Mädchen nahm ihre zu großen Schuhe in die Hand, um schneller neben unserem Auto herlaufen zu können…

Genau DAS ist der Grund, warum wir diesen Weg auf uns nehmen: die pure, ehrlichste und innigste Freude in den Augen der Kinder zu sehen!

7. Tag

21.10.2019

Übern Jordan gegangen sind wir bisher noch nicht.
Aber mir schwirrt mittlerweile der Kopf bei all den Ortsnamen, die als Optionen für unsere nächsten Einsätze bei unseren Orga-Besprechungen während der Fahrten und auf der Hotelterasse fallen. Al Mafraq, Madaba, Al Azraq, Zarqa: wie soll man sich das, bitteschön, merken können.
Unsere Reiseplanung bleibt nach wie vor ein grosses Unterfangen. Osman, Scarlet und Hasan lassen die Wifi-Drähte glühen (ja, der kleine Witz braucht ein wenig Zeit), um unsere Spielorte zu koordinieren. Wenn auf unsere telefonische Anfrage die Antwort kommt: „Please send us an e-mail with all details“, haken wir diese Adresse mittlerweile als aussichtslos ab. Scarlet hat im Vorfeld so unendlich viele Kontakte angebahnt und Emails geschrieben und hier und da confirmed und arranged. Und schliesslich sind vor Ort doch ganz andere Leute verantwortlich, die von nichts wissen.

Aber seit heute Abend sind die letzten beiden Tage morgen und übermorgen praktisch 100 %ig durchgeplant.
Auch der heutige Tag war schon sauber geplant und mit drei Shows ein kleiner Marathon. Ich zumindest bin hier am Rechner rechtschaffen fix und fertig, weswegen der Tagesbericht heute wohl ein bisschen knapper ausfällt, damit ich in die Falle kann.
Wir waren heute also zum dritten Mal in Za’atari und haben mit Hilfe des UNHCR um 10.00 Uhr für die Jungs gespielt und um 12.30 für die Mädchen. Das hängt damit zusammen, dass Jungen und Mädchen hier getrennt unterrichtet werden und zwar im Schichtdienst, nacheinander, weil es nur begrenzt Klassenzimmer und Lehrer gibt. Unsere Frühvorstellung für die Jungs war ookaay, die zweite für die Mädchen war richtig gut. Miri meint, Mädchen sind nun mal ganz anders als Jungs, deshalb wär die Stimmung besser gewesen. Ich möchte aber auch die Möglichkeit, dass wir ungefrühstückt und leicht abgehetzt in aller Herrgottsfrüh unser Feuerwerk abbrennen mussten, nicht ganz von der Hand weisen.

Anschliessend sind wir ruckzuck wieder abgedüst, weil ja noch eine dritte Show in der Umgebung von Amman anstand. An unserer Lieblingstankstelle haben wir gegen 14.00 Uhr mit Falafel (diesmal ist die Teigrolle gemeint) und Baklava unser Frühstück gefeiert und sind so ganz leicht vespätet in einer Container-Schule, geführt von einer jordanischen Hilfsorganisation, mit, zumindest vor Ort, ausschliesslich Freiwilligen Hilfkräften, angekommen. Hier haben wir auf freiem Feld unter Pinien und mit einem idyllischen, wenn auch, wie üblich, komplett mit Plastikmüll verdreckten Olivenhain im Hintergrund, praktisch direkt an der Autobahn auf staubigem, holprigem Lehmboden gastiert. Die Kinder sind mit ihren kleinen Plastikhöckerchen immer dichter an uns herangerückt und haben Falafel (diesmal ist die Clownsrolle gemeint) und Salata in Grund und Boden gefeiert.
Morgen noch einmal drei Shows: ich sag gute Nacht!

8. und vorletzter Tag

22.10.2019

Es hat für mich heute Morgen schon so etwas ähnliches wie Alltag gehabt:
Wecker, aufstehen, ins Kostüm schlüpfen, Zöpfe flechten, schminken, Koffer präparieren, vom 4. Stock nach unten im wackligen Aufzug fahren, auf Kaffee vom Kiosk nebenan hoffen und ab ins Auto.

Heute ist der letzte Tag mit Osman. Er muss heute Nacht zurück nach Deutschland. Er hat uns heute, wie auch die letzten Tage, durch die wirklich herausfordernden Straßen Ammans kutschiert. Nicht nur Schlaglöcher und Bodenwellen, sondern auch die anderen gefühlten 200.000 Autos sind eine extreme Herausforderung für Nerven, Lungen, Genick und unsere Schutzengel. Neben seiner Ralleyfahrertätigkeit hat er natürlich auch den Großteil der Kommunikation mit den ganzen Kontaktpersonen, NGOs, Falafel, Obst und Teigtaschen Verkäufern übernommen. Osman fehlt mir jetzt schon…

Doch zurück zu unserem Tag:
Um 9:30 Uhr wurden wir in einen relativ nah gelegenen Park gelotst. Es hieß, dass uns dort sowohl Waisenkinder von einer NGO als auch tagtägliche Parkbesucher erwarten werden.
Ja, ich gebe zu, ich hatte insgeheim mit mehr Kindern und anderen Zuschauern gerechnet, aber egal – steht doch die Freude der Kinder in unserem Fokus, egal wieviele es sind.

Nach dem Parkbesuch musste wir ziemlich zügig weiter nach Tunaib. Dort haben wir zwar vor ein paar Tagen gespielt, doch waren viele der dort lebenden Kinder aus unterschiedlichen Gründen nicht da. Zumal spielten wir heute auf dem Schulgelände. Dort wird den syrischen Flüchtlingskindern Nachhilfeunterricht gegeben, da viele die Schule nur lückenhaft besuchen konnten.
Kaum aus dem Auto gestiegen, riefen ein paar wenige Kinder unsre Namen zu. Der Großteil der Kinder kannte uns jedoch nicht. Einige Erwachsene beobachteten auf Stühlen sitzend unser Treiben von Weitem.
Nach der Show versuchte ich beim Händeschütteln und High Five geben, alle meine Finger bei mir behalten zu können. Es ist einfach Wahnsinn was bei den Kindern danach an Energien frei gesetzt werden.
Einer der Erwachsenen sagte danach, dass dieses Erlebnis mit uns für die Ewigkeit sei.

Gegen 16:30 Uhr kamen wir hinter einem großen Möbelgeschäft an. Dort leben seit einigen Jahren ein paar syrische Familien. Wie die meisten syrischen Flüchtlinge, sind auch sie aufgrund geschäftlicher Kontakte mit den hiesigen Bauern vor Beginn des Krieges in diese Ecke Jordaniens gekommen. Ein Mann kam mit Osman ins Gespräch. Sie stellten fest, dass sie aus der selben Region Syriens kommen. Und tatsächlich kannte der Syrer ein paar von Osmans Familienangehörigen. Wie klein die Welt doch ist.

Auf so einer Reise wird man immer wieder mit Extremen konfrontiert. So auch hier bei dieser Spielstätte. Auf der einen Seite diese Familien, die unverschuldet, einzig und allein aufgrund des syrischen Krieges in Zelten leben, kaum Geld verdienen können und auf der anderen Seite das beliebte Einrichtungshaus, in dem es alles Materielle gibt was man für Wohnen und Leben benötigt.

Nach unserer letzten Show mussten wir unser völlig eingestaubtes Auto kurz vor der Rückgabe säubern lassen. Dabei habe ich all die Herzen und Liebesbotschaften der Kinder zum ersten Mal richtig wahrgenommen.

Meinen Gedanken werde ich nun im Schlaf einrichten und sortieren, damit ich Morgen nochmal mit voller Kraft in den letzten Spieltag starten kann.
Ich bin dankbar in einem Bett und unter einem Dach schlafen zu können. Mir ist mehr denn je bewusst, dass dieses Glück nicht viele Menschen haben.

9. und letzter Tag

23.10.2019

Krasse Zeitverschiebung: Bedingt durch die Feierlichkeiten, anlässlich der Derniere unserer Jordanien-Tour der ‚Muharajun bila hudud'(arabisch für ‚Clowns ohne Grenzen‘), kann der tägliche Reise-Blog erst heute vormittag erscheinen.
Soundengineer Hasan hat uns gestern zu üppigem Abschiedsessen und anschliessendem gepflegtem Abhängen auf seiner Couchlandschaft bei Dubstep und geistigen Getränken, zu sich nach Hause eingeladen.

Ich denke, das lässt sich rechtfertigen, denn wir haben mit summa summarum 17 Shows, zig Terabyte Filmmaterial, 30 geplant geplatzten Luftballons (in zwei Shows haben wir die Ballons aus pädagogischen Gründen nicht platzen lassen), einem ungeplant geplatzten Hinterreifen, schätzungsweise 25 Stunden Autofahrt (reine Fahrzeit) und grob geschätzt 1500 grossen und kleinen Zuschauern, alles gegeben und genommen, was in unserer Macht stand.

Der letzte Tag brachte uns zwei Vorstellungen in Amman. Weil unser Fahrer Osman ja gestern bereits wieder abreisen musste, haben wir für diesen Tag Auftritte in der Nähe geplant, die wir für kleines Geld, mit je zwei Uber-Cars, bzw. Karim-Cars (was ein lokales Pendant zu Uber ist) bewältigen konnten.
Unsere Frühshow fand in einem Kindergarten für hauptsächlich syrische und jordanische Waisenkinder statt und war unsere erste Indoorshow. Auf einer Spielfläche von etwa 4 qm., die wir uns auch noch mit Kamerafrau und Tonmann teilten (na gut, ehrlich gesagt hat Hasan den Ton von ausserhalb, durch die offene Tür aufgenommen), hatten wir unseren und die fast gestapelteten Kinder ihren grossen Spass. Das Haus wird geführt von „Happiness Again“, einer Hilfsorganisation, die alleinstehende Mütter unterstützt. Hier sind also nicht nur Opfer des syrischen Bürgerkriegs vertreten, aber man kann davon ausgehen, dass die syrischen Kinder ihren Vater im Krieg verloren haben.

Danach war Zeit für Interviews mit uns Clowns für „An Hour Of Paradise“, unseren Film über die Kraft des Lachens. Demnächst im Kino. (Also, es wird schon noch etwas dauern, bis die Unmengen an Filmmaterial aufgearbeitet sind und daraus ein schmucker Film geworden ist.)
Wie schon mal erwähnt, ist die Kamerabegleitung während der ganzen Tour nochmal ein Faktor, der unserem gesamten Unternehmen ein paar Umdrehungen mehr verleiht. Neben der Aufzeichnung der Show und den Interviews, wollen auch Atmosphäre und Impressionen rund herum eingefangen werden. Dazu müssen hier und da ein paar Extrastops eingelegt werden, um den Wegweiser zur syrischen Grenze, einen Blick über die Wüstentäler oder das Panorama der Millionenmetropole Ammman während der Gebetszeit mit dem durchdringenden Gesang der Imame festzuhalten. Weil es ja eine authentische Dokumentation werden soll, soll es auch keine künstlichen Inszenierungen im Film geben und so muss Scarlet mit der schweren Kamera oft vorausjagen, um uns bei der Ankunft am Spielort oder beim abendlichen Gang zum nächstgelegenen Imbiss aufzunehmen. Manchmal waren wir dann doch irgendwie zu schnell und wurden gebeten, den Gang um die Ecke doch bitte noch einmal zu wiederholen, aber bitte nicht auf die Kamera achten, es soll ganz natürlich wirken. Das müssen wir nochmal üben.

Unsere finale Nachmittagsshow schliesslich fand im Women’s Care Center der lokalen ehrenamtlichen Organisation ‚Hadi hayat‘ (oder so ähnlich. Heisst auf jeden Fall übersetzt: ‚It’s My Life‘, glaube aber nicht, dass Dr. Alban direkt involviert ist.). Auch diese Einrichtung kümmert sich um alleinstehende Frauen und ihre Kinder.
Ein richtig schöner Abschluss mit einmal mehr begeisterten Zuschauern, die uns sogar eine Zugabe abverlangt haben und uns schliesslich mit innigen Umarmungen verabschiedet haben. Das möchte ich hiermit auch tun. Wir sagen: Shukran, Al Urdunn und Salemaleikum Al Amman!

 

Anmerkung der Redaktion:

Auf unserer facebook-Seite könnt Ihr noch drei kleine Filmausschnitte von unserer Reise anschauen. Viel Spaß dabei! :o)

Gepostet am

19.09.2019