2010 Sri Lanka – Reisebericht


05.01.2010 - 22.01.2010

Stefan Schiegl, Mirjam Avelis, Charlotte Liepelt, Heiko Mielke, Eva Glimsche (Logistik), Thomas Victor (Fotograf)


Zum ersten Mal reisen wir nach Sri Lanka und werden Colombo und die Ostküste besuchen.

Itinerary Date :10.01.2010

Januar 2010 – SRI LANKA ...eine Reise mit den Clowns ohne Grenzen

10.01.2010

So, wie sich zu Hause die Schneepflüge gerade ihren Weg durch die weißen, kalten Massen bahnen, dringen wir ein in die Welt der Stacheldrahtzäune und der traurigen Geschichten.
Hinter uns wehen im warmen Wind der Freude die bunten Bänder des Lachens und der Leichtigkeit in den Herzen.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich seit mehreren Stunden in einem Kleinbus, unterwegs in den Bergen Sri Lankas. Die nur teilweise geteerte Piste, auf der sich Schlagloch an Schlagloch reiht, von Nuvare Eliya nach Batticaloah an der Ostküste, nennt sich hier Hauptstraße. Plötzlich ruft meine Freundin und Clownskollegin Mirjam neben mir: „Affe, Affe, Affe!“ Direkt neben uns im buchstäblich haushohen Bambus turnt ein kleines Äffchen zu seiner Familie in die Zweige. Seit einer Woche sind wir beide nun schon unterwegs mit Stefan und Heiko, die gemeinsam mit dem Fotografen Thomas im „Männerbus“ die Tagestour zwischen Palmwedeln und Reisfeldern hinter sich bringen. Bei uns im „Frauenbus“ sitzt noch Eva, die als Logistikerin und Facilitator die Clowns-ohne-Grenzen-Reise begleitet. Dichtes sattes Grün, immer wieder gespickt mit bunten Blüten umgibt uns. Ich tauche ein in die Erlebnisse der vergangenen Tage…

Nach drei intensiven, fröhlichen Probetagen Anfang Januar sind wir aufgebrochen, um den Kindern Sri Lankas der Insel im Indischen Ozean, die 30 Jahre Bürgerkrieg und den Tsunami 2004 überstehen musste, ein wenig Unbeschwertheit zu schenken. Trotz optimaler Vorbereitungen war ich maßlos aufgeregt, als wir ins Flugzeug stiegen. „Lachen Kinder auf der anderen Seite der Erde über dieselben Späße wie in Europa? Wie wird es sich anfühlen, in Straßenkontrollen zu kommen? Was ist mit den bevorstehenden Wahlen auf der Insel? Hoffentlich bleiben wir alle gesund!“

Die ersten schwarzen Kinderknopfaugen begegneten mir schon in der Arrival-Halle des Flughafens der Hauptstadt Colombo. Undurchdringlich musterte mich das kleine Mädchen mit der zimtrindenfarbigen Haut. Als ich sie anlächelte, blieb ihr Gesicht vollkommen unbewegt. Dieser fragende Blick sollte mir noch hundertfach begegnen…

Gleich bei unserem ersten Auftritt musste ich wieder an das Mädchen denken. In einer langen Reihe saßen Teenies mit weißen Kleidern und sorgfältig geflochtenen Zöpfen auf einer kleinen Mauer vor der Eingangshalle zum Heim straffällig gewordener Waisenjungen in Hikkaduwa.

Auch die Jungen, die hier leben, wirkten verhalten und „gut gedrillt“. Doch als wir – Piffi, Polly, Pepe und Popo – mit unserer Show begannen, dauerte es nicht lange, und alle Gesichter lachten, alle Hände klatschten, und besonders die Liebesszene zwischen Pepe und Polly ließ die Teenager kichern! Erschöpft fielen wir uns in die tropfnass geschwitzten Arme und stellten glücklich fest:“ That`s why we are here!“

Ganz im Stillen hatte sich neben unserem Auftritt eine wunderschöne Geschichte zugetragen: Ein fünfzehnjähriger Junge und ein sechzehnjähriges Mädchen begegneten einander nach zehn Jahren zum ersten Mal, und erkannten sich gegenseitig als Bruder und Schwester wieder. Ihre Eltern hatten sie in den Wirren des Krieges zurückgelassen, und sie waren ohne voneinander zu wissen, in unterschiedlichen Heimen untergebracht worden. Hand in Hand liefen sie wie Fremde und doch wie alte Bekannte über die Wiese, wo Piffi eben noch ihren Handstand machte. „…jeden Augenblick aufsaugen!!! Hier dabei sein zu dürfen, ein Geschenk des Himmels!!!“

Fazit Nummer eins:
• Wenn asiatische Menschen auf mich wie frisch gebügelt wirken, müssen wir für sie dann nicht wie Schildkröten aussehen?
• Nächtliches Gelächter ist gut für die Seele, den Teint kann es aber nicht retten!
• Auch Clowns machen „ein Gesicht“ beim Fotografieren!

Ein sanfter Einstieg waren die ersten drei Tage in Sri Lanka, in denen wir für Kinder und Jugendliche spielten, deren Eltern noch nicht einmal die weißen Hemdchen selbst kaufen konnten,die Bedingung für Kindergarten und Schule in Sri Lanka sind. Bei einem unserer Auftritte konnten wir beobachten, wie Menschen, Fahrräder, am Ende sogar ganze Busse stehenblieben, um durch den Zaun des Grundstücks, auf dem sich unsere Bühne befand, einen Blick auf uns Vier zu erhaschen.

Wie gut war es, dass Eva nicht Auftritt an Auftritt geplant hatte! Zwischendurch war Zeit zum Durchatmen, Raum, abends an der ein oder anderen Nummer zu feilen, einander ganz neu oder ganz anders kennenzulernen, und dadurch die Show frisch und lebendig zu halten!

Am vierten Tag machten wir uns auf die lange Reise in Richtung Hochland. Berg-Dschungel-Wald mit orangeblühenden Riesenbäumen, buckelige, alte Menschen auf behelfsmäßigen Krücken und immer wieder Wahlplakate begleiteten unsere Fahrt. Nach zehn Stunden erreichten wir schließlich unser Ziel: Nuvare Eliya auf 2700m Höhe. Dort oben hatte ein christlicher Pater unsere nächsten Auftritte organisiert. Mitten in die Teeplantagen fuhren wir. Auf abenteuerlichen, steilen Wegen durch die kleinen, zartblättrigen Büsche kamen wir in ein namenloses Dorf in weitem Tal. Eine fast zahnlose Grauhaarige kam aus ihrer Wellblechhütte, auch einige schmutzige, ärmlich gekleidete Kinder liefen gleich herbei, als wir aus den Bussen stiegen. Der Rohbau einer klitzekleinen Kirche war der ganze Stolz der Dorfbewohner, die jetzt zögerlich näher kamen. „Hatte hier ein einziges Kind schon jemals einen Weißen gesehen?“ Wir wurden sehr genau beäugt, während wir uns flugs umzogen. Noch in der Kirche begannen wir mit unseren Instrumenten die Anfangsmelodie die Zigeunerhochzeit zu spielen… neugierige Augen begleiteten unseren Weg zum kleinen Dorfplatz, hie und da der erste schelmische Blick.

Als Popo sich vorstellte, und Polly ihm ins Wort fiel, war der Bann gebrochen. Die stetig wachsende Begeisterung der Kinder, ihr Jubeln und Kreischen, die größer und größer werdende Menge an Teepflückern, die sich oben am Abhang einfanden, trugen uns fort auf der Welle der Gewissheit, im richtigen Augenblick am richtigen Ort zu sein! Zig kleine dunkle Hände winkten uns mit ihren hellen Innenflächen nach.

Ganz still war es jetzt im Bus. Wir alle hatten die kleinen Gesichter im Kopf, die so sehr nach Fröhlichkeit zu hungern schienen – mehr vielleicht als nach dem täglichen Schälchen Reis.

Fazit Nummer zwei:
• Gaffer-Tape-Konstruktionen halten in Asien bestimmt Jahre lang…
• Seifenblasen spiegeln sich in schwarzen Kinderaugen wie Diamanten.
• Asiatisches Englisch beginnt sich in meine Träume zu schleichen!

Gut durchgeschüttelt waren wir inzwischen alle auf unserer Fahrt. Wir hatten das Bergland verlassen und der Bus durchquerte eine weite Ebene. Ein einziges riesiges Reisfeld, soweit das Auge reichte – schwarze Büffel aalten sich in den Wasserlöchern am Straßenrand.

Und dann – am Rand einer Ortschaft ein dicker Stacheldrahtzaun. Maschinengewehr tragende Soldaten hielten uns an und fragten nach dem „Woher und Wohin“. An diese Art von Kontrollen sollten wir uns die nächsten Tage noch gewöhnen. Alle paar Kilometer würde unser Bus gestoppt werden. Wir waren im ehemaligen Sperrgebiet im Osten der Insel angekommen. Bis vor einem
Jahr durfte keiner der hier Lebenden diese Zone verlassen. Grausame Massaker hatten hier stattgefunden – die Blicke der Menschen waren misstrauisch und selbst die Kuh, die ihre dürren Knochen an die Mauer mit den Einschusslöchern lehnte, wirkte traurig. Als wir am nächsten Tag in einer großen Schule in der Nähe von Batticaloa auftraten, wurde die Beklommenheit greifbar. Weit über tausend schwarze Augen beobachteten unser Spiel fast schon argwöhnisch. Es war hier viel schwieriger, die Kinder zu begeistern…

„This is not a free country. I trust nobody!“ Dieser Satz, den unser Kontaktmann in Batticaloah als einen der ersten sagte, schlich sich immer wieder in meine Gedanken. „Wie viele Kinder, die uns zuschauen, haben ihre Väter sterben gesehen? Wie viele sind selbst Opfer von Gewalt oder
Missbrauch geworden? Welche Familie musste nach dem Tsunami ganz von vorn anfangen?“

Doch diese Fragen stellten sich mir immer erst nach den Auftritten. Auf der Bühne war ausnahmslos bei jeder Show die Unbeschwertheit, die starke Verbindung und das gegenseitige Wohlwollen unter uns Vieren das zentrale Gefühl. Es erschien mir manchmal fast schon magisch, dass wir kein einziges Mal scheiterten. Bunte, selbst gefädelte Blütenkränze wurden uns um den Hals gelegt, strahlende Waisenmädchen tanzten mit uns, an jedem Ort bekamen wir köstliches, selbst gekochtes Essen serviert, „very super!“ rief uns ein Junge nach, ungezählte, hoch erhobene, kleine braune Daumen winkten uns nach. „Es ist so wichtig, den Menschen hier die Leichtigkeit und das Lachen wieder beizubringen! Bitte kommen Sie wieder!“

Fazit Nummer drei:
• Kakerlaken kämpfen am liebsten nachts in Bädern…
• Überkochender Milchreis bedeutet im Hinduismus Reichtum und Überfluss!
• Waisenkinder, die auf blanken Holzbrettern schlafen müssen, sind nicht automatisch arm – im Herzen!

Den letzten Teil unserer Reise verbrachten wir an der Westküste Sri Lankas. Dort – nicht weit entfernt von der Hauptstadt Colombo – wurde uns die politische Katastrophe, die sich in dem wunderschönen Land gerade abspielte, in vollem Ausmaß bewusst. Alle Menschen, die uns begegneten, sprachen nur noch über die bevorstehenden Wahlen, und die möglichen Konsequenzen daraus. So viel Angst in Augen zu sehen, machte mich sehr nachdenklich. Keiner schien klar Stellung beziehen zu wollen, weil zu viele bereits erlebt hatten, wie Nachbarn plötzlich im Gefängnis verschwunden waren oft nur, weil sie öffentlich zu deutlich gesagt hatten, was sie von den Regierenden dachten. Genau dieser Ort sollte derjenige sein, an dem uns Eva zusammen mit einer mutigen Sri Lankischen Ordensfrau unseren letzten Auftritt ermöglichte: das Frauengefängnis in Colombo. Für die Kinder, die dort mit ihren inhaftierten Müttern leben, schien ein seltenes, fröhliches Licht, als wir zum letzten Mal unsere Melodie spielten. Piffi machte ihren letzten Handstand und Pepe kniete ein letztes Mal vor Polly. Nur Thomas durfte hier leider kein Foto mehr von Popo machen. Die zarten Kleinen standen auf von den Schößen ihrer Mamas und wiegten sich Hand in Hand zu unserer Musik.

Seltsam war es, als wir unsere durchschwitzten T-Shirts noch einmal in die große Pappkiste legten. Ich hatte das Gefühl, als würde ein wichtiges Kapitel in meinem persönlichen Lebensbuch zugeschlagen. Zwischen den arbeitenden Frauen mit den traurigen Augen im Gefängnishof trugen wir unsere Koffer und Taschen zurück in die Freiheit… „God blessed you, because you were born in your land!“ Diese Worte einer Dame in Nuwara Elya begriff ich jetzt ganz anders.

Letztes Fazit:
• Es ist immer ein guter Rat, dem Leben die Chance zu geben, einem unerwartete Geschenke zu machen – wie diese Reise!
• Verpflichtet uns unsere Glücksgeburt in Raum und Zeit nicht sogar dazu, ein wenig davon weiterzugeben?
• Welch eine Ehre, ein Teil dieser Truppe gewesen zu sein! Ich war so gern in diesem wundervollen Team, in dem der Egoismus so klein geschrieben wurde, wo selbstverständliche Disziplin und ausgelassene Fröhlichkeit den Tag bestimmten.

Gepostet am

23.01.2023