Ich bin eigentlich Spätaufsteher. Es ist ein Luxus, den ich mir als Schauspieler leisten kann, weil es morgens so wenig Auftritte gibt. Lange in einem gemütlichen Bett zu Walzen, lange die Nacht davor zu genießen – da gibt es für mich fast nichts Schöneres.
Deswegen bin ich über mich selbst überrascht, dass Spätaufstehen eine Zeit zwischen 6.30 und 7.30 geworden ist. Um 22 Uhr werde ich langsam müde, und bis Mitternacht schaff ich es kaum noch. Von solchen Erlebnissen habe ich schon gehört, damals ging es über senile Bettflucht. Waren es Jahre statt Kilometer, die wir mit dem Flugzeug überquert haben? Bin ich ein alter Greis geworden der es in Bett einfach nicht mehr aushält?
Oder liegt es an der Kultur, geprägt von Stromausfällen und sehr ländlich, oder an der Arbeit mit Schulen, die gemeinerweise immer früh anfangen?
Egal welche Gründe, es macht mir eigentlich nichts aus. Der Tag ist voll, ich glaube ich verpasse nichts. Ich fände es tatsächlich schwer, mir vorzustellen, mehr in vierundzwanzig Stunden reinzuquetschen.
Deshalb war die frühe Abfahrtszeit um 5.45 Uhr morgens Richtung Kathmandu, eher eine Normalität als eine Zumutung. Ich befürchte fast, dass ich sowieso in der Zeit wach gewesen wäre, und nur mit Ungeduld eine spätere Abreise erwartet hätte. Es ist toll, dass man nicht nur ein Land erkundet wenn man reist, sondern auch sich selbst.
Apropos gar nichts: es gibt nie warmes Wasser. Die Duschen sind vier Zement Wände ohne Verputz. In Shilpee ist der Duschkopf sogar über das Kloloch. Es gibt kein Glas an den Fenstern, und die Moskitos freuen sich riesig, wenn sie unsere nackten, verschwitzten Körper sehen. In unserer Morang Unterkunft verschwindet das Abwasser durch ein Loch in der Wand, bei dem ich mich noch nicht getraut habe zu sehen wo es hinführt.
Wahrscheinlich wenn man darüber liest, (wer weiß, vielleicht schön und kuschelig im Bett, um circa 10.30 Sonntags), hört es sich furchtbar an, aber für uns ist es gar nicht schlimm. Es ist auch nicht rückwärts, oder primitiv, oder unzivilisiert. Es „ist“ einfach. Eine Realität. Ich überlege mir auch: Wenn wir Europäer so zufrieden wären mit so wenig Fleisch, Plastik, Klopapier oder Autos, wäre die Welt nicht besser dran?
Diese Gedanken gingen durch mein Kopf in den Stunden die wir Richtung Kathmandu fuhren. Die ersten 12 Shows waren ja vorbei, wir sammelten unsere Kräfte für die nächste Aufgabe – Regie in Shilpee für eine der ersten nepalesischen Clown Shows. Dank unserer Arbeit mit Clowns ohne Grenzen ist das eine Realität geworden! Danach werden wir Richtung Bergen fahren, für weitere Shows und Workshops. Es ist viel Arbeit, aber es ist gute Arbeit, und lässt uns keine Zeit müde zu werden.
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Dinesh fährt mit bester Laune. Unser junger, sich immer weiter öffnender Fahrer, passt gut auf uns auf auf diesen verrückten Straßen, die manchmal kaum dem Namen gerecht werden. Er hat sich eine der Dhaka-topi Traditionshüte, die uns geschenkt geworden sind, auf seinen Kopf gesetzt, und macht jedes Mal kleine Freudesprüngen wannimmer er vom Auto aussteigt.
Mit uns gekommen ist auch Tika. Einem Impuls folgend, entschied er sich mit uns nach Kathmandu zu fahren. Er sitzt ruhig hinten im Auto und scheint mit seiner Entscheidung zufrieden zu sein.
Unsere Reise wurde nach kurzer Zeit umgeleitet – das wussten wir schon vor der Abfahrt. Vorgestern brachen Unruhen im Tiefland aus, weil mehrere Demonstranten von der Polizei erschossen wurden. Es ist ein Konflikt der schon länger wächst, wegen Autonomie und Steuern, eine Verfassung und Machtspielen. Wegen dieser Eskalation, wurde die Hauptstraße nach Kathmandu von der Bevölkerung, Streiks und Demonstrationen gesperrt, und wir müssen einen alternativen Weg suchen.
Wir assen Frühstück in „Nepals zweitschönster Stadt“, wie Yubaraj sagte. Dharan hatte einen Gehweg und eine Skulptur im Kreisverkehr, aber sonst sahen wir nichts, das nach Postkarten Idylle erinnert. Es gab dafür ein paar obdachlose Kinder und einige Bettler. „Wo der Reichtum vermutet wird, kommen die Armen,“ erklärte mir Yubaraj, eine Straße überquerend.
Nach diesem Frühstück, das zur Zeit meines normalen Tiefschlafs stattfand, fuhren wir fast nur auf Schotterstraßen durch die Hügeln weiter. In Deutschland würde man meistens solche Straßen nicht einmal als Waldstraße benutzen, hier rollen menschenvollgeladene Busse durch den Schotter. Bis wir nach Stunden in einem Dorf Mittagspause machten. Sogar in diesem abgelegenem Ort, gab es Demonstranten die in der Mitte einer Straße standen, von der Polizei bewacht.
Ab dieser Stadt, wurde die Straße kaum noch eine Straße. Wir fuhren durch Flüsse und über Steinbrüche, pausierten am Flussrand und würden beobachtet von Kindern die einfach da rumhingen. In diesem Land, scheint es mir als ob die Kinder in die Mehrheit sind. Die sind immer dabei, an Motorrad hängend, Wasser sammelnd, in Bars am spielen oder am abwaschen.
Und jetzt, vierzehn Stunden nach Anfang unserer Fahrt, endeten wir circa zweihundert Kilometer weiter Richtung Hauptstadt, in Sindhuli. Ein Katzensprung in Zeitlupe! Wir nahmen ein Hotel nach Tikas Empfehlung – er scheint hier alles und jeden zu kennen. Sogar in einem unscheinbaren Dorf irgendwo im nirgendwo auf unserer Schotterpiste, entdecke er ein Geschicht, sprang vom Auto und begrüßte einen alten Lehrer. Wir gaben ein spontanes Konzert, und die Augen von Kindern, jungen und alten Frauen leuchteten.
Morgen besteht die Hoffnung, dass wir Kathmandu erreichen oder zumindest ein oder zwei Konzerte spielen…