Nach dem gestrigen, fulminanten Abend ein trüber Morgen, obwohl die Sonne scheint und der Himmel blau strahlt: Andi ist krank. Der Arme, irgendwas von dem vielen Essen gestern war doch nicht geeignet für ihn.
Glück im Unglück: Der Sport- und Musiklehrer hat seine Workshops übernommen. In den letzten Tagen hat er immer mehr teilgenommen, mitgemacht, geholfen, selber geübt. Und das ist gut: Denn nun kann er alles weiter führen, wenn wir weg sind. Also war er voll einsetzbar und die Kinder mögen ihn gern und haben Freude mit ihm.
Der Tag ist wesentlich entspannter als die vorherigen. Nach wie vor werden wir stürmisch umarmt und begrüßt. Alles hat sich eingespielt und siehe da, es sind Erfolge zu erkennen. Kinder, die mit drei Tüchern schöne Muster werfen können, Kinder, die eine riesen Portion Körperspannung entwickelt haben und sich richtig schön gerade halten, Kinder, die alleine Rola Bola balancieren können und viele, viele geschickte Tellerdreherinnen und –dreher. Sogar eine Dreiballjonglage wird verbissen von einem Mädchen geübt. Es werden erste Elemente für die Präsentationen erarbeitet und zum ersten Mal davon gesprochen. Die Akrobatikkinder arbeiten richtig gut zusammen, halten und helfen sich gegenseitig, haben Vertrauen und akrobatische Kompetenz entwickelt. Sie prüfen und korrigieren die „Bänke“ eigenständig, geben Rückmeldung, wenn Knie auf dem falschen Fleck am Rücken landen, organisieren sich auch mal selber und zeigen Teamgeist. Die Großen noch mehr als die Kleinen, die so quirlig sind. Kaum habe ich eine Bank gerichtet, und gehe zur nächsten, hat sie sich schon wieder verändert. Und oft sind die Kinder viel, viel zu schnell…
Heute war ich vorsichtiger als in den vergangenen Tagen. Drei kleine Unfälle waren schon und weil die Müdigkeit und auch Unkonzentriertheit zu spüren ist, sorgen wir für Entschleunigung. Ich bin sehr erleichtert, dass das Mädchen, was gestern so auf den Rücken geknallt ist, heute wieder lacht und gerne bei Akrobatik dabei ist. Sie hat ihren Schock überwunden.
Ziemlich sicher bin ich mir, dass die Kinder eine ungewöhnliche und nicht kulturspezifische Erfahrung machen. Eine Familie hat ihren beiden Kindern nicht mehr erlaubt, in Akrobatik zu kommen. Zu viel Berührung, nehme ich an. Aber es sind die einzigen, alle andern Familien unterstützen das Projekt. Wir konnten feststellen, dass Berührung im Rahmen der Übungen unkompliziert möglich sind. Gegenseitiges Abklopfen, Hilfestellungen, Zusammenarbeit, aufeinander steigen auch von Jungen und Mädchen gemischt ist kein Problem. Hier bin ich mir sehr, sehr sicher, dass das LehrerInnenteam uns Grenzen sagen würden. Purzelbäume gehen übrigens auch mit Kopftuch, Kopfstand auch.
Sorgenkinder sind die Pois. Der Platz ist zu klein und Milly meint, einige Kinder sind lernresistent. Sie machen immer wieder das, was sie schon können und lassen sich nicht neues zeigen. Ähnlich auch bei Rola Bola. Immer noch bedarf es der Hilfestellung und trotz ständiger Anweisung sind die Bewegungen riesig, der Blick am Boden und der Körper krumm wie eine Banane. Immerhin haben alle die Wichtigkeit der genauen Brettvorbereitung und des Sicherheitsabstandes gelernt. Mal sehen, was sich nächste Woche noch tut.
Nach wie vor sind die LehrerInnen sehr unterstützend dabei, übersetzen, geben Hilfestellungen, sind geduldig und hilfsbereit. Die polnische Praktikantin übersetzt mit ihren einigen Worten Arabisch tapfer so gut sie kann. Die LehrerInnen sind zum Teil sehr streng mit den Kindern, aber das zahlt sich aus, denn die Kinder können eben auch still sitzen, warten und zuhören.
Ich persönlich bin ein großer Fan der Akrobatik. Außer den Matten braucht es nur den Körper. Die soziale und körperliche Kompetenz wird zu gleichen Teilen immens gefördert. Und plötzlich ist ein dickeres, kräftiges Kind richtig wichtig! Welche eine Stärkung des Selbstbewusstseins!
Milly und mich hat die Pflege von Andi heute zusätzlich beschäftigt, aber auch A. war unglaublich mitsorgend. So lassen wir den Abend ruhig ausklingen, mit kochen, Wäsche waschen, Blog schreiben und bald schlafen gehen. Die Schulgemeinschaft ist ja zum großen Teil zugleich eine Wohngemeinschaft, wobei das Haus groß genug ist, dass man einen Winkel findet, um sich zurück zu ziehen. Das gemeinsame Leben und Arbeiten empfinde ich als sehr angenehm. Eine Mischung zwischen „jedeR tut das Seine“ und „jedeR hilft dem/der anderen“.
Heute Nacht darf ich mal im Bett schlafen – freue mich schon auf mehr Elastizität und hoffentlich mehr Erholung. Gute Nacht!
Katrin