Dienstag, 24.05.

Welch ein Premierentag!

Als wir um 9.00 Uhr aus unserer Wohnung treten, begrüßen uns Merve und ihr Kollege Adem stumm hinter ihren Kameras. Merve aus Istanbul studiert in Weimar Medienkunst-Gestaltung und arbeitet gerade an ihrer Masterarbeit zum Thema Flüchtlinge. Adem hilft ihr und filmt mit einer zweiten Kamera. Bis Freitag begleiten sie uns, am Samstag fahren sie nach Lesbos.
Mit unserem Fahrer Ugur, der uns mit traumwandlerischer Sicherheit durch die engen Gassen und den dichten Verkehr kurvt, Petra und Fatima, einer Praktikantin des Goethe-Instituts, ist unser
10-Sitzer-Fahrzeug voll besetzt.
Es geht in den Stadtteil Essenler in eine sogenannte Kinderstrasse (Cocuk sokagi), ein verkehrsberuhigter Bereich mit Spielplatz und Kindergarten. Dort werden wir freundlich empfangen und können uns im „Plastikland“ des Kindergartens umziehen.
Erwartet werden etwa 100 türkische Kinder von hier und 200 syrische Flüchtlingskinder von der Kadermoodschule aus dem Stadtteil Bagcilar, die mit dem Bus kommen. Aber die Busse kommen nicht. Was ist los? Ah, Frau Merkel ist in Istanbul, es sind viele Strassen gesperrt, all überall Stau, was wir später auch noch zu spüren bekommen. Schon in Schale geschmissen und geschminkt heißt es immer wieder: „Noch zehn Minuten“.
Als wir mit etwa 45 Minuten Verspätung beginnen, bahnen wir uns einen Weg durch etwa 400 Kinder und Erwachsene, die sich auf dem Vorhof und dem Spielplatz aufhalten. Es gibt gleich schöne Kontakte und in Clownsmanier dirigieren wir unser Publikum zu einem Halbkreis. Die Show kann beginnen! 
Es geht gut los, alle haben Spass und die Kinder rücken aus Begeisterung immer näher. Das haben wir alle anderswo auch schon erlebt und schaffen uns immer wieder mehr Raum zum Spielen. Als die Kinder bei der Tellernummer nicht mehr zu halten sind und gleichzeitig von hinten an nicht benützte Instrumente gehen, die begleitenden Erwachsenen zuschauen, kürzen wir die Show rasant ab, können gerade noch die Keulenjonglage machen, ein paar Riesenseifenblasen in der Menge mit Musik und ab. 
Hui, damit hatten wir nicht gerechnet, und wir beraten uns während der Rückfahrt im Stau was wir in so einer Situation das nächste Mal anders machen können, haben Ideen und sind guter Dinge. Schließlich haben wir am Nachmittag noch eine Aufführung im Stadtteil Asam Tarlabasi vor nur etwa 60 Kindern. Dort können wir unser Programm ja eh mal in Ruhe durchspielen…
Nach einer kurzen Mittagspause kommen wir in Asam Tarlabasi an, es wirkt sehr arm dort. Da die Zeit knapp ist, haben wir keine Zeit in Ruhe anzukommen und uns im Viertel umzusehen. Nachdem wir auf der Strasse einen Bühnenplatz ausgesucht haben, können wir uns in einem kleinen Zentrum für Kinder umziehen. Dort haben kurdische und syrische Romakinder, die hier vor allem leben, einen Treffpunkt, können mit Anleitung u.a. türkisch lernen.
Als wir zum Bühnenplatz kommen, der extra für uns vom Hundekot befreit wurde, warten schon die Kinder und wir beginnen. Viva la musica! Während unserer Anfangsmusik kommen sie schon an den Bühnenrand, einige klettern rauf, kommen von der Seite, von hinten.
Immer wieder versuchen wir uns klar verständlich zu machen, dass wir mehr Platz brauchen zu spielen, auch Petra unterstützt uns auf türkisch. 
Es hilft alles nichts, wir brechen noch schneller ab als am Vormittag. Die Kinder wollen alle ran, schubsen sich, wollen uns mit Haut und Nasen und Tasten und Saiten und Bällen und Keulen…Die Leiterin des Zentrums sagt, die Kinder hatten Spass und Merve sagt uns hinterher: „Das ist das gefährlichste Viertel in Istanbul.“ Wenn uns das mal einer vorher gesagt hätte 😉
Wir haben auf jeden Fall die Erkenntnis, dass es nicht nur Clowns, sondern auch Kinder ohne Grenzen gibt!
Stefan.