Leudde, ehrlich… wo soll ich anfangen?

Unsre Nacht war sehr kurz. Abfahrt nach Iskenderun, einer riesigen Stadt am Mittelmeer ca. 90 km von Reyhanli entfernt, um kurz nach 7 Uhr.
Der Morgen war magisch, der Blick vom Hotelzimmer zeichnete Häuser, Fassaden, den Berg, wenige hundert Meter entfernt von uns in ein weiches, goldenes, warmes Licht. Der Berg trägt bereits syrische Erde.

Es ist schwer zu glauben, dass wir so nah an der Grenze sind, und nichts für die Menschen, die in diesem Land bleiben müssen, weil sie entweder keinen Pass oder nicht genügend Geld haben, um zu fliehen, tun können. Nichts. Gar nichts. Außer vielleicht gute Gedanken und Wünsche zu den Menschen in das Land schicken.

Wir verzichteten ob der Uhrzeit auf das Frühstück. Wir spekulieren auf Tee und/oder Kaffee zur Begrüßung in der auf uns wartenden 1. Schule mitten in der Stadt.
Iskenderun hat knapp 250.000 Einwohner.

Die syrischen Schulen lagen ausnahmsweise mehr oder weniger nebeneinander, so dass wir uns dazwischen nicht umziehen mussten und direkt weiter spielen konnten.
Insgesamt 750 Schüler sind in der 1. Schule. Einige konnten aufgrund des nicht vorhandenen Platzes nicht zuschauen oder hatten Prüfungen.

Uns wurde der mit einem Teppich ausgelegte Gang als Spielort zugewiesen. Wir waren schon etwas spät dran (20 Minuten, aber für unseren knappen Zeitplan tatsächlich unpässlich), so dass wir uns keine andere Spieloption z.B. draußen anschauten. Die Schule lag sowieso in einem Gebäudekomplex, der eher nach Wohnhochhäuser mit einem Laden neben dem anderen aussah, als eine Schule, wie man es sich im klassischen Sinne vorstellt mit ausreichend Platz.

Während wir uns in einem Klassenzimmer umzogen, hörten wir immer mehr Kinder vor der Tür. Eine aufgeheizte, laute Stimmung.
Es war klar, dass es eng werden würde, wir wussten jedoch auch nicht genau wieviele Kinder genau kommen würden. Ca. 25 Lehrer waren letzten Endes während der Show dabei, wovon gefühlte 2 uns dabei halfen, die immer wilder werdende Truppe zu bändigen. Dunja, Hussein und Scarlet versuchten ihr Bestes, selbst wir fingen an, die Kinder zu beruhigen, sich wieder hinzusetzen und nicht von hinten nach vorne zu drücken.
Aufgrund des engen Ganges (3,5 m breit) wollten wir über die Länge spielen, die Kinder links und rechts von uns.
Die rechte Gruppe, bestehend aus etwa 400 Kinder hat sich nicht mehr unter Kontrolle bringen lassen, ein Lehrer ging mit der Glocke herum, schrie und brüllte, es war kein durchkommen, und mir schien, als würde es durch das Gebrüll v.a. eines Lehrers nur noch schlimmer. Irgendwann war es so unerträglich zu sehen, wie die Kleineren immer mehr geschupst und nach unten gedrückt wurden, dass wir die Show abbrechen mussten. Die aufgewühlte Kindermenschenmenge wurde mit Gebrüll von den Lehrer in ihre Kassenzimmer geschickt. Einige Kinder weinten. Es war schlimm, dass mit ansehen zu müssen.

Die linke Gruppe (etwa 100) blieb mehr oder weniger regungslos sitzen und beobachtete die ganze Szene. 7 Lehrerinnen standen neben Ihnen und haben Ihnen per Handzeichen signalisiert sitzen zu bleiben. Als es etwas ruhiger wurde, spielten wir weiter, kürzten jedoch radikal ab, ließen das Hochrad weg, obwohl es sich Philipp trotz niedriger Deckenhöhe (etwa 2,50 m) vorgenommen hatte.

Mit Musik und Keulenjonglage liefen wir den Gang entlang Richtung „Garderobe“ oder besser gesagt, wurden von den Kindern geschoben, und beendeten damit unseren Auftritt.

Das war also unsre 1. Show am letzten Spieltag. So ganz auf nüchternen Magen war es schwer zu verdauen. Der Kaffee im Büro des Direktors schmeckte mir nicht. Die gefühlten 20 Suras (Bilder), die nur er mit uns machen ließ, fielen mir sehr schwer auszuhalten. Die Einladung zum Essen mussten wir aufgrund des 2. Auftrittes absagen. Mein Appetit hielt sich sowieso in Grenzen.

Wir mussten weiter, die 2. syrische Schule wartete. Durch undurchschaubare Gänge, links, rechts, Treppe runter, hoch, kamen wir nach 2 Minuten an.

Ca. 450 Kinder warteten dort in einem großen Klassenraum. Die Luft war stickig. Wir hatten nur kurz Zeit unsre Sachen herzurichten, wir schwitzten bereits ohne Ende. Bevor wir auftraten fing ein Chor an zu singen. Wir wurden gebeten herein zu kommen. So startete unsre letzte Show mit einem wunderschön vorgetragenen Lied aus Syrien. Es wurde getanzt, der Musiklehrer stand vorne mit Trillerpfeife, wir gingen dazu, ich tanzte mit, es war so schön. Welch ein Kontrast zu der anderen Schule nebenan, nur 15 Minuten zuvor.

Kurz hatte ich Sorgen, dass auch hier so eine vor Überfreude ausbrechende Panik entstehen könnte. Die Lehrer hatten die Kinder jedoch viel besser im Griff, mussten jedoch wieder etwas abkürzen, auch aufgrund des Geräuschpegels, des wenigen Platzes und der kaum noch vorhandenen Luft im Raum.
Sowieso war es immer wieder anstrengend auch die Erwachsenen davon zu überzeugen, nicht mit ihrer ganzen Pracht vor den Kindern und mit ihren Handys vor unsrer Nase zu stehen.

Die letzte Fotosession hat sich wieder selbst übertroffen.
Ich hätte gerne die Möglichkeit irgendwie zu erfahren, wieviele Fotos alleine nur heute von uns gemacht wurden. Es nahm einfach kein Ende…

Um 12:11 Uhr am 12.11. schaute ich auf mein Handy im Büro des dortigen Direktors und tranken Zucker mit Tee.

Wir waren fertig. Sowohl mit den heutigen Shows als auch mit den Kräften. Wir frühstückten am Straßenrand um die Ecke Blätterteig mit Nudeln befüllt, Blätterteig mit Spinat, Tomate. Es schmeckte alles gleich.
Auf dem Rückweg nach Reyhanli blieben wir an einer atemberaubenden Plattform stehen, von der aus die Bergkette Syriens zu sehen ist.
Dunja hatte die Idee Schattenbilder von uns zu machen. Jeder Schatten ist anders, hinter jedem steckt ein anderer Mensch, aber Schatten bleiben Schatten. Egal, woher, wohin man geht, egal wie alt…

Kurz nach dem Ortsschild Reyhanli bogen wir nach links ab. Der Weg führt zum Flüchtlingslager Atmeh in Syrien. Das Lager, in dem wir 2013 sowohl im Mai als auch Oktober für Flüchtlinge spielten. Damals lebten dort etwa 35.000 Menschen.
Mittlerweile sind es 80.000! Einige sprechen von 110.000… eine unvorstellbare Zahl.

Wir fuhren vorbei an einer neu gebauten Fabrik, die Mauerstücke für die Grenze anfertigte und kamen letztlich so nah an die Grenze, dass wir den neu gebaute Mauerabschnitt und die neuen Ansiedlungen im Lager sehen konnten. Das Gefühl so nah vor den Menschen zu stehen, die dort bereits vor 2 Jahren lebten oder noch länger, die so arm sind, dass sie gar nichts mehr haben, nicht einmal mehr Hoffnung auf ein absehbares Ende des Krieges,… abermals war es trotz sichtbarer Grenze für mich nicht einfach mich abzugrenzen.

Ein Mitgefühl ohne Grenzen kam in mir hoch.

Beim Abendessen in unserem Stammstraßenlokal (es gab ausnahmsweise Falafel mit etwas Salata) erzählte Hussein ein paar Geschichten aus seiner Kindheit, aus der Schule, wie er Journalist und zu dem wurde, was bzw. wie er jetzt ist.. Es war sehr bewegend all seine Worte zu hören, die Dunja für uns übersetzte. Bei jeder Clownsreise hierher war er bisher dabei, hat sich jedoch noch nie so sehr gezeigt und mitgeteilt wie heute Abend bei unserem letzten gemeinsamen Abendessen.
Sein größter Wunsch: Freiheit.
Freiheit v.a. für die syrischen Menschen, selbständig entscheiden zu dürfen im Leben.
Ist das zu viel verlangt?

Der Abschied von Hussein war für mich aufgrund der musikalischen Untermalung durch die Hochzeit nebenan nicht ganz so melancholisch wie eigentlich angebracht.

Jetzt noch packen und schlafen. Abfahrt zum Flughafen um 5:30 Uhr. Wer kommt da noch mit?

Hier noch der gestrige Ausblick über Hatay. Atemberaubend.