Mit Clowns ohne Grenzen e.V. in Albanien von 1.-10. Juni 2015
Sicherlich eindrucksvoll!
„Wo liegt eigentlich Albanien?“ Diese Frage stellte ich mir, nachdem mich Tamara, die ich bald liebevoll Lulja nennen durfte, gefragt hatte, ob ich nicht für Clowns ohne Grenzen e.V. in diesem Land spielen möchte. Heimlich habe ich on- und offline zahlreiche Informationen zu Albanien gesammelt, was mich zu dem Entschluss kommen ließ: „Ja, ich will!“ Mit einer gutgelaunten Gruppe in ein Land mit viel politischem und gesellschaftlichem Entwicklungsbedarf reisen und dort mit lustigen Shows die Menschen dazu zu bringen, mal 45 Minuten nicht alles ganz so ernst zu nehmen und herzhaft zu lachen – was kann es schöneres geben!?
Die Show mit Lulja (Tamara), Deti (Milly), Nuhatje (Iris) und Pité (ich) war dank der Erfahrungen der bereits gereisten Clowninnen und Clowns schnell einstudiert und hat Lust auf die ersten Shows vor Publikum gemacht. Die Premiere feierte unsere Show dann gleich vor albanischem Publikum. Nicht aber in Albanien, sondern in einem Flüchtlingsheim im Münchner Westen. Die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen dort haben sich sehr über unser Kommen gefreut und mit applausbegleitetem Lachen die Show für gut befunden. Bevor wir endgültig in den Flieger steigen konnten, musste Iris aus privaten Gründen die albanische Clownsnase vorübergehend an Heiko abgeben, der spontan einspringen konnte und sich in der Rolle der Princeshë schnell sichtlich wohl gefühlt hatte. Der Showkoffer konnte nun gepackt werden und los ging’s voller Neugierde in das bisher unbekannte und unbespielte Land Albanien.
Am Flughafen in Tirana hat schon unser Fahrer Günther erwartet, der sonst Touristen durch die schönsten Gebiete Albaniens schaukelt und sich damit bestens in diesem Land auskennt. Er hat uns auch gleich in unserem „Tourbus“ in die erste Unterkunft in der Nähe von Shkoder gebracht. Leider musste er spät in der Nacht nochmal los, um unseren Fotografen Niko vom Flughafen zu holen, dessen Tickets von der Fluglinie spontan storniert und seine Tickets umgebucht wurden. Am nächsten Morgen konnten wir endlich vereint zur ersten Show aufbrechen.
Auch wenn wir die Show schon vor albanischem Publikum gespielt hatten, war es doch aufregend, nun dem Tour Start entgegen zu fahren. Wie werden die Kinder reagieren? Wird die Show funktionieren oder wird es unheimlich peinlich? Wird das Zusammenspiel mit den Kollegen auch vor Ort so gut funktionieren, wie in den Proben? Und wo kommen wir jetzt eigentlich an? Diese Frage sollte schnell geklärt werden, denn weit war es nicht mehr bis zu Schwester Christina und ihrem Team in der Arche Noah, einer Einrichtung, die Kindern und Jugendlichen Zuflucht gibt, die aus familiären, gesundheitlichen oder politischen Gründen Hilfe benötigen. Wir haben an diesem ersten Tag gleich drei Shows hintereinander gespielt. Zuerst für die Kindergartenkinder, dann für die Kinder und Jugendlichen, die in Blutrache leben und von daher eigens für die Show mit dem Auto gebracht wurden, sowie für das halbe Dorf, dass in den Garten der Arche Noah eingeladen war. Der Tag war ein grandioser Start für die Reise, denn Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Jung und Alt haben mit uns gemeinsam viel gelacht.
Und wir sind vor allem durch die unverblümten Erzählungen von Schwester Christina über deren Arbeit und die Lebenshintergründe der Kinder eingetaucht in eine mir unbekannte Welt, in der das Recht der Berge – der Kanun – regiert. Es kann doch nicht sein, dass gleich hinter dem beliebten Urlaubsland Kroatien Menschen leben, die es als selbstverständlich ansehen, ihre Frauen zu schlagen, Kinder zur Strafe zu verbrühen und selbst bei Lappalien mörderische Eigenjustiz – genannt Blutrache – zu üben. Keine Wunder, dass manche Mauern um die Häuser besonders hoch sind und manche Kinder nicht zum Spielen auf die Wiese nebenan gehen (dürfen). Doch das scheint in diesem Land zum Alltag zu gehören. Nicht zum Alltag aller Menschen – hoffentlich – aber in den Gebieten, in denen wir mit unserer Clownsshow zu Besuch waren mit Sicherheit. Auch über den unschönen Alltag der Romas in Albanien sind wir informiert worden. Diese Bevölkerungsgruppe wird in Albanien derart ausgeschlossen, dass diesen nur bleibt in völlig heruntergekommenen Baracken zu hausen und zu hoffen, dass ihnen nicht ihre Kinder weggenommen oder diese zum Betteln geschickt werden, um die gesammelten Münzen beim albanischen „Auftraggeber“ abzuliefern – versteht sich. Die Bedrohung für diese Menschen ist riesengroß und sie haben nur aufgrund ihrer Herkunft keinerlei Chance auf Schule, Ausbildung oder Beruf. Sie können nur hoffen, irgendwie zu überleben. Hilfe bekommen sie dabei von Schwester Christina und ihrem Team, das ich bestimmt nie vergessen werde. Solch engagierte Menschen mit so einem starken und unbeugsamen Gerechtigkeitssinn müsste es mehr geben auf der Welt. Diese Begegnung ist eines der Geschenke, die ich aus Albanien mitgebracht habe.
Nach der Abreise von der Arche Noah erwarteten uns noch viele weitere bleibende Eindrücke. Unvergessen ist für mich der Auftritt in einem albanischen Jugendgefängnis, vor dem wir bis kurz vor dem Auftritt gehörigen Respekt hatten. Doch auch hier entwickelte sich unsere Show zu einem kleinen Fest der Schadenfreude und des Mitgefühls, in dem die Jugendlichen selbst aktiv wurden und sogar die traurige Lulija in den Arm nahmen. Dass Pite, also ich, in dieser Szene schuld an Luljias Tränen war, ist den Jungs schnell klar gewesen. Und so wurde ich mit fiesem Lächeln ins Publikum zitiert, was auch meinen Clown schnell skeptisch werden ließ. Doch das Spiel blieb ein Spiel mit neuen Mitspielern als ein Herzballon wieder alle besänftigen konnte. High-Five zwischen Pité und dem jungen Gefängnisinsassen und alles war gut! Viel zu kurz war hier die Zeit, die wir nach der Show noch mit den Jungs verbringen konnten, die sich gerne und angeregt mit uns unterhalten haben.
Es ist schon beeindruckend, wir begeistert und dankbar unsere Shows angenommen wurden. Wenn die Clowns kommen schlagen nicht nur Kinderherzen höher. Die Augen der wartenden Zuschauer leuchten einem den Weg zur Bühne, ob im Kindergarten mit 20 oder im Feriencamp mit 500 Kindern. Während der Show war immer schnell vergessen, wo und wer wir sind. Wir sind alle zusammen eingetaucht in eine Welt, in der das Gefühl regiert, ein inszenierter Tritt den Hintern mal nicht ganz so ernst genommen wird und kleine Gemeinheiten auch mal verziehen werden, denn am Ende gingen wir immer als Freunde – die Clowns unter sich und die Clowns mit den Kindern. Besonders schön ist der Ausklang eines Auftritts, wie er sich in der Romasiedlung in der Nähe von Shkoder entwickelt hat. Nach dieser Show wollten uns die Bewohner nicht mehr gehen lassen, so dass wir gemeinsam mit ihnen musiziert und getanzt haben. Und was das Tanzen angeht, kann den Romas keiner was vormachen. So schnell wie das Schulkind gemeinsam mit der 90-jährigen das Tanzbein geschwungen hat, konnte ich die Seiten meiner Gitarre gar nicht zupfen.
Beseelt von den schönen Auftritten und den Kopf voller Gedanken über deren Lebensverhältnisse haben wir Clowns – ohne rote Nasen – jeden Abend zusammengesessen, Blog geschrieben, Nikos Schnappschüsse des Tages hochgeladen und die Shows revuepassieren lassen. Das hat mit diesem Team ganz besonders viel Spaß gemacht, bei dem ich mich auch hier gerne nochmal bedanke für die tolle Zeit. Freude geben kann man am besten, wenn man selbst viel davon hat. Und Tamara, Milly, Heiko und Niko hatten ordentlich Spaß mit im Gepäck. So wurde auch diese ehrenamtliche Arbeit zu einem Vergnügen für alle Beteiligten – auch wenn viele Beteiligte, nämlich ein großer Teil unseres Publikums, nach den Shows wieder zurück mussten in ein Leben, dass äußerst komplizierte und teilweise lebensbedrohliche Umstände für sie bereithält. Ich hoffe nur, dass alle von dem Erlebnis, das wir gemeinsam hatten, noch viel in den Alltag hinüberretten konnten.
Mit all diesen Eindrücken und Erfahrungen sitze ich gerade wieder zu Hause, in München, und die Diskussionen über Flüchtlinge in Deutschland ist am Kochen. Dabei wird auch Albanien öfters erwähnt – und zwar als „sicheres Herkunftsland“. Meinen Erfahrungen nach ist in diesem Land für sehr viele Menschen gar nichts sicher. Nicht, ob sie morgen noch ein Dach über dem Kopf haben, nicht, ob es morgen was zu essen gibt, nicht, ob sie am nächsten Tag noch am Leben sind. Sicher ist nur, dass dieses Land und vor allem die Menschen dort, Hilfe brauchen, auf allen Ebenen. Und dass es Sinn macht, mit einem Koffer voller herzhaftem Lachen, engagierten Kollegen und einer roten Nase dorthin zu reisen und jedem ein großes Stück Lebensfreude zu schenken. Ich persönlich glaube, das haben wir ein geschafft – und viel gelernt – und viel gelacht!