3. Tag Reyhanli/Türkei

Gestern Abend hat sich über 3 hochengagierte junge Männer (über sie konnten wir gestern Nachmittag überhaupt in das Waisenhaus für syrische Kinder, da sie dort helfen) eine Spielmöglichkeit in einem türkischen Containerlager für 50 syrische Familien für Morgen früh ergeben. Allerdings wollten uns die dortigen Mitarbeiter erstmal sehen, d.h. v.a. Husseins Überzeugungstalent und seine Art mit den Mitarbeitern zu sprechen und ihnen zu erklären was wir überhaupt machen war gefragt.
Das Misstrauen vor Geheimdiensten, die Informationen über alle möglichen Quellen und Wege suchen – und sei es über rote Nasen und Seifenblasen, ist innerhalb des letzten Jahres sehr gestiegen. Eine Einrichtung hat den geplanten Auftritt genau deswegen kurzfristig abgesagt. Wir wissen nicht, ob wir darüber lachen sollen, tun es trotzdem, obwohl es mittlerweile schon 2 unterschiedliche „Dienste“ sind, deren Mitarbeiter wir sein könnten. Es gibt nun leider in Kriegszeiten nichts was es nicht gibt.

Heute Nacht wurden die Uhren hier umgestellt. Also, eine Stunde länger schlafen. Am Vorabend haben wir vor lauter Erschöpfung nicht mehr gewusst, ob wir uns nun um 8 Uhr alter oder 9 Uhr neuer Zeit zum Frühstück und anschließender Abfahrt treffen wollten.
Ich stellte mir 2 Wecker in unterschiedlichen Zeitzonen und beschloss einfach mal um 8:15 Uhr neuer Zeit beim Frühstück aufzuschlagen. Dunja war die einzig Pünktliche! Philipp entschied sich dafür eine Stunde (oder waren es doch 2?) früher da zu sein. Scarlet kam ein bisschen später. Es war für jeden was dabei.

Danach gingen wir mit dem Bus nur wenige Meter weiter, um uns bei den Verantwortlichen des Containerlagers in Reyhanli vorzustellen. Wie sich heraus stellte, unterstützend wir Hussein einfach mental vom Bus aus. Wir bekamen die Zusage in einer Stunde wieder kommen zu dürfen. Ich erinnerte mich daran, dass wir hier letztes Jahr um 7:30 Uhr vor ca. 500 syrischen Schülern gespielt hatten. Mittlerweile sind die Container für Flüchtlingsfamilien zur Verfügung gestellt worden.

Die ca. 25 Kinder und im Laufe der Show hinzukommenden Rund 20 Erwachsenen waren aufgeregt und lebendig. Selbst die streng verhüllten muslimischen Frauen kamen nach tatkräftiger Überzeugungskraft von Dunja zur Show dazu.
Während der Show habe ich heimlich beobachten können, wie sich der Stoff vor Mund und Nase zweier Frauen nach vorn und zurück bewegt hat. Ganz schnell. Entweder, sie haben durch Spiegelneuronenschaltung Salata (Philipp) beim Luftballonaufpusten geholfen oder doch gelacht. Selbst bei der Herzluftballonübergabe mit minimini-Romantik (von Falafel kommt ein „Tsspüh-ha-pah“ mit abgewandtem Oberkörper als Antwort) kicherten die Damen in ihre schwarzen Gewänder.

Direkt von dort ging es innerhalb Reyhanlis in ein ehemaliges Café, welches als Nachmittagsschule für ca. 50 syrische Kinder umfunktioniert wurde. Der Leiter erzählte uns davon, wie er die Kinder von der Straße geholt hat, die vormittags für die Familie arbeiten gehen müssen. Nachmittags dürfen sie dann zu ihm in die Schule kommen. Die Kinder sind zwischen 4 und 13 Jahre alt.

Während der Show vor dem Café kamen immer mehr Menschen dazu. Dunja meinte, dass sie es so schön fand zu sehen, wie sich türkische und syrische Familien gemeinsam die Show anschauten. Das kommt nicht so oft vor, dass man so spontan zusammen kommt.

Ein 4-Jähriger viel besonders auf. Er ist gleich alt wie der Syrienkrieg. Seine Augen waren soooo groß, strahlend und neugierig… wie die des 3-Jährigen vom Flughafen Istanbuls (wie berichtet).
Wir bekamen seine bisherige Lebensgeschichte erzählt. Er floh mit seiner Familie von Damaskus über einen Tunnel in die nächst gelegene Stadt. Sein Vater wurde als Kämpfer von 9 Kugeln in den linken Oberkörper und von 2 weiteren am Ohr und die Augen getroffen. Er hat überlebt, sieht und hört nur auf der rechten Seite nichts mehr. Sie lebten mit permanenter Angst und unter ärmsten Umständen ohne fließend Wasser, Elektrizität, teilweise kurz vorm Verhungern, eine Zeit lang um Damaskus herum, bis der Vater beschloss in die Türkei zu fliehen. Je nach Checkpoints trug er Bart oder nicht, rauchte oder rauchte nicht,.. man weiß mittlerweile wie man sich an den brenzligen Punkten verkleiden bzw. „verkaufen“ muss.
Der kleine Junge lernte erst hier all die für uns normalen Dinge kennen. Licht, fließendes, sauberes Wasser, regelmäßiges Essen, Spielsachen, andere Kinder die er regelmäßig zum Spielen trifft,…

Wir saßen zu zehnt um einen Tisch, tranken Tee und aßen frisch gebackenes Pitabrot von der hauseigenen Steinofenbäckerei.
Und dann schenkt uns der Schulleiter zum Abschied Jasminblüten, die um das Café herum wachsen, sagt, dass ganz Syrien vor dem Krieg nach Jasmin gerochen habe. Die Syrer, die mit uns am Tisch saßen rochen daran, es wurde stiller, man erzählte sich was man. Damit verbindet, welche Bilder aus Syrien. Heimweh machte sich breit. Heimweh nach Familie und Frieden. Endlich Frieden.

Aktuelles: Neben unserem Hotel, also knapp 3 Meter daneben, findet, wie gewohnt, eine Hochzeit statt. Die letzten 3 Reisen, bei denen wir ebenfalls hier gewohnt haben, war es genau so. Kann es sein, dass die Menschen nur heiraten, wenn wir da sind?
So viele Menschen können hier in Reyhanli doch gar nicht mehr zu haben sein!? Wenn man das mal hochrechnet, was ich nicht mehr kann, weil zu müde, aber wenn… das wären also mindestens 365 im Jahr. Manchmal waren hier auch schon 2 Hochzeitsfeiern am Tag.
So viel Liebe hier?
Dunja erzählte wie letzte Woche ein großer Streit vor dem Hotel ausbrach, als eine Frau zufällig vorbei kam und ihren Mann traf, der hier eine andere Frau heiratete. Na, dann geht’s ja doch mit den vielen Hochzeiten auf.

Update (ca. 20 Minuten nach dem zuletzt Geschriebenen): die Hochzeitsfeier mitsamt der ohrenbetäubenden Musik -übrigens die gleiche wie gestern, vorgestern und den letzten Aufenthalten) hat sich abrupt aufgelöst. Eine Schlägerei unter den Gästen brach aus, wahrscheinlich wegen Tanzanwärterschaften bei den Damen unter den Herren ausgelöst.