Von hinten angefangen: Die beiden Aufführungen waren echt schön. Die Kinder hatten Freude, sie waren konzentriert, sie waren motiviert, das Chaos hielt sich in Grenzen, die Lehrerinnen und Lehrer haben tatkräftig mitgeholfen, es war eine schöne, wertschätzende Atmosphäre und das beste: Jeder hat gesehen, dass viele Kinder viel gelernt haben! Es gab guten Applaus und von den 50 Familien waren immerhin etwa Elternteile 37 da. Alle haben in den 50 m2 Raum gepasst. Die Kinder konnten sich meistens an den Ablauf erinnern und wenn nicht, dann standen sie entweder verträumt da oder sie sind Tücher wedelnd in Kreis herum gelaufen, was dann auch sehr lustig wirkte. Die Clowns haben heute nochmal Anweisungen bekommen und haben dann das Publikum verzückt. Manche muss man nur Nasen aufsetzen und auf die Bühne stellen, dann sind sie schon Clowns. Manches hat auch nicht geklappt, Teller sind runter gefallen, Rola Bolas weg gerutscht. Aber das alles hat keine Rolle gespielt, weil die Stimmung ganz einfach gut war. Mir hat gefallen, dass die Kinder sich gegenseitig sehen konnten. Grade 3-6 hat Grade 1/2 angeschaut und umgekehrt und die Gruppen innerhalb der Levels auch. Sie haben gesehen, dass die anderen anders oder gleiches gemacht haben, damit haben sie auch gesehen, wie sie vielleicht wirken.
Zugegebenermaßen war es vorher mehr als chaotisch. Die ganze Woche haben wir von sechs Zetteln mit vielen Hyroglyphen die Namen der Kinder verlesen, dass das Vorlesen der Namen schon zum Running Gag wurde. Lustiger weise haben die Kinder auch irgendwie nicht verstanden, dass es immer dieselben Gruppen waren. So war jeden Tag wieder neues Rätselraten – in welche Gruppe gehört dieses Kind? Die Antwort wussten die Kinder zum Teil auch nach 5 Tagen nicht! Heute Morgen wollten Milly und ich dann ordentliche Listen schreiben, aber wir kamen nicht in die Räume, so dass das Listenprojekt erneut scheiterte. Zum Glück war da F., die sich einen vollen Überblick verschafft hat und das Management besonders in der 2. Show voll im Griff hatte. Trotzdem war dann mal ein Kind zu viel auf der Bühne oder es haben welche gefehlt! Dann sind wir bei Level 3-6 mit der Generalprobe nicht durchgekommen, Die Show war dann zwar nur eine Stunde, trotzdem haben 90 Minuten nicht zur Vorbereitung gereicht. Zu guter Letzt wuselten Kinder, Lehrer und Eltern rum, so richtig konzentrierte Ruhe hatten wir für die Proben nicht. Alles halb so schlimm – es hat trotzdem geklappt.
Mit einigen Lehrern haben wir den Tag mit einem leckeren Abendessen in einem syrischen Restaurant abgeschlossen.
Zur Frage nach unserer Wirkung: Was haben die Kinder davon? Wie nachhaltig wirkt unser Einsatz?
Ganz genau können wir das jetzt und hier nicht sagen. Nur ein bisschen: Vielleicht sind die Zirkuskünste Selbstläufer. Dann werden die Kinder auch für sich weiter üben. Wie zum Beispiel A. aus Level 6, die jonglieren mit drei Bällen gelernt hat und das auch zu Hause übt. Wir zum Beispiel M., der drei Teller übereinander drehen konnte. Wenn sie das können, dann haben sie eine Menge an Auge-Hand-Koordination gelernt, Geschicklichkeit, Präzision und Reaktion, Konzentration und Rhythmusgefühl. Wenn sie auf dem Rola Bola balancieren können, dann haben sie Gleichgewicht trainiert, was zu Ausgeglichenheit und innerer Ruhe verhelfen kann.
Deutlich war zu sehen, mit wie viel Selbstverständlichkeit sich die Kinder Hilfestellung in Akrobatik und Rola Bola gegeben haben. Deutlich war auch zu sehen, mit wie viel mehr Umsicht die Kinder auf die Pyramiden geklettert sind. Und oft haben die Kinder die Bänke kontrolliert und verbessert. Trotzt unserem Listenchaos habe ich vor und nach den Auftritten einen Gruppengeist in den Kleingruppen spüren können. Sie haben sich gegenseitig vertraut, gut kooperiert, Verantwortung übernommen, nonverbal kommuniziert. Wir können hoffen, dass sich diese sozialen Kompetenzen halten und sie von diesem Gruppengefühl, dem Gefühl etwas gemeinsam geschafft zu haben und dazu zu gehören, profitieren, es nicht vergessen.
Alle diese Kinder haben Krieg erlebt. Manche haben traumatische Erlebnisse gehabt. Ein Vater ist beim Bombenangriff ums Leben gekommen. Ein Kind hat sich ein Bein gebrochen und meinte, im Krankenhaus die Ärzte mit Sägen gesehen zu haben. Jetzt stottert er. Ein Junge hat mich heute ganz lange und ganz fest in den Arm genommen. Er hat mich gar nicht mehr los gelassen. Genau er kommt aus einer Familie, die viel Ärger macht. Ich habe das Gefühl, er hat sich eine dicke Portion Liebe abgeholt. Wir können hoffen, dass wir geholfen haben, ein paar Resilienzpunkte aufzubauen und dass sie erfahren haben, dass das Leben auch Freuden bereit hält. Denn gefreut haben sich die Kinder jeden Tag mit uns.
In diesem Sinne ist die Schule hier auch ein besonderer Ort. Auch die Lehrerinnen und Lehrer haben viele Ideen, tanzen, singen, zeichnen mit ihnen. A. hat gemeint, sie wollen versuchen, eine Stunde pro Woche Zirkuskünste einzurichten. Sollten wir ein weiteres Mal kommen – was können die Kinder dann schon alles!

Tränen blieben nicht aus heute, als wir die Kinder zum Abschied in den Arm genommen haben, eins nach dem anderen. Ja, es war anstrengend und wir für uns müssen reflektieren, wie ein solches Projekt energetisch optimiert werden kann. Trotzdem bleibt die Erfahrung unvergesslich. Morgen nehmen wir sie mit nach Hause.
Katrin