Persönlicher Reisebericht von Alex
19.06.2014
* Nepal *
wie klingt das für mich? – war auch diesmal die erste Frage, die ich mir gestellt habe, als in Betracht kam, an einer Clowns ohne Grenzen Reise in diesem Teil der Welt teilzunehmen; und auch diesmal, wie im Fall von Georgien und Indien kamen die Worte „unbekannt, neutral, neugierig“.
und wieder kamen für mich erst im Lauf der Tage und Wochen Assoziationen, Geschichten, Bilder die ich gehört oder gesehen hatte, als Kind oder Jugendlicher – und das Staunen, wie wenig ich weiß, über dieses Land und die Menschen die dort leben.
Wochen später – – –
nach einer langen Nacht im Flieger aus Istanbul kommend, erstrahlen die Gipfel des Himalaya fast bis auf unsere Flughöhe herauf, ein in seiner Ruhe und Schönheit unbeschreiblicher Anblick; umso ernüchternder kommt der erste Eindruck nach der Landung – schon beim Anflug auf die Stadt kreisen wir eine Stunde über Katmandu, aufgrund des Smogs und der schlechten Sicht ist es nicht möglich zu landen; wie wir später hören, ein Zustand der Normalität. Diesen Umstand bemerkt man am Boden umso mehr, nach wenigen Stunden kratzen die Atemwege und jedes Mal, wenn man außerhalb der Stadt ist, sieht man die riesige Glocke über dem Talkessel, der die Stadt beherbergt.
Und dennoch – auch dieser erste Eindruck wird flüchtig – etwas ist anders, verglichen zu unseren beiden Reisen nach Indien: es ist bei weitem nicht so laut und hektisch, sondern eine erstaunlich lockere Gelassenheit liegt über der Stadt und spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen.
wir werden eindrücklich vor dem Wasser gewarnt und auch auf die sehr eigenwillige Situation der Versorgung mit Strom hingewiesen; dieser ist in Katmandu im fünfstündigen Rhythmus verfügbar, was meist wiederum auch ursächlich mit der Möglichkeit korreliert, Internet und über die Pumpen Wasser zu haben.
Nach einer kurzen Ruhepause machen wir uns auf den Weg in die Stadt, um uns mit unseren Partnern zu treffen, mit denen wir in den nächsten 17 Tagen zusammenarbeiten werden; angenehm wirkt, dass Katmandu im Vergleich zu den indischen Mega-Metropolen sehr übersichtlich ist und die Wege nicht endlos weit; mir fällt auf, dass sich viele der Menschen betont westlich und leger kleiden, ein Umstand, auf den Hari, unser Gastgeber, eine für mich unerwartete Antwort hat.
Nepal hat viele Parallelen zu Indien, aber auch einen wesentlichen Unterschied: es war nie kolonialisiert, von daher tragen die Menschen die wir treffen, in vieler Hinsicht einen sehr individuell geprägten Blickwinkel im Herzen und nicht primär einen, der von Besinnung oder Rückbesinnung auf nationale Identitäten bestimmt wird, das lässt sich sowohl im Erscheinungsbild der Kleidung als auch allgemeiner in der Art des stolzen Auftretens sofort sehen.
Sehr auffallend wird für mich ebenfalls werden, dass es „den Nepalesen“ vermutlich gar nicht gibt, die Vielzahl der Gesichter, die wir auf unserer Reise sehen, wirken auf mich wie eine Jahrtausende alte Mischung verschiedenster Völker die hier lebten, erschienen und wieder verschwanden; ein Schmelztiegel vieler Kulturen Asiens.
vielleicht lässt sich dieses zusammenschmelzen auch im Sinne der Religionen erklären, in Nepal treffen sich der Buddhismus, der Hinduismus und Maoismus und erzeugen ein religiöses Klima, das mit Konfliktpotential auf die politische Ebene gehoben wird, ein Klima, in dem jeder seine Wahrheit persönlich trägt, offiziell oder im Stillen. Im Stillen oft deshalb, um keine Unannehmlichkeiten riskieren zu müssen.
die Grenzen dieses Schmelztiegels sind schwierig auszumachen; vermutlich hat Nepal viele innere, unsichtbare Grenzen, die einerseits natürlich, durch die Geographie des Landes bedingt sind; andererseits künstlich, wie in Indien, durch (offiziell abgeschaffte) Kastensysteme, die die Menschen in gewissem Maß weiterhin in ihrem Leben verankert haben.
alle diese Eindrücke, auch sie werden mal mehr, mal weniger flüchtig; und im Lauf der Tage wird sich ein Eindruck besonders nachhaltig zeigen: Armut; in Katmandu nicht immer unmittelbar, sondern oft schleichend und verdeckt; in den ländlichen Gegenden mit deutlicher Wucht zu erkennen.
einen Tag später – – –
fahren wir ins Terai, in die Tiefebene Nepals; in unzähligen Kurven windet sich der apokalyptische Verkehr den Trishuli Fluss entlang bis an den Dschungel an der Grenze zu Indien. Unser oben bereits erwähnter Gastgeber und auch Partner für den ersten Teil der Tour, Hari Bhandari hat hier in Meghauli in zwanzig jähriger Arbeit ein Lebenswerk geschaffen – in einem Einzugsgebiet von 20000 Menschen eine Klinik gebaut, Kindergärten errichtet und umfangreiche Programme für die Bevölkerung initiiert. Bevor die Clinic Nepal entstand, gab es hier im Niemandsland buchstäblich nichts; keine medizinische Versorgung, keine Anlaufstelle für in Not geratene Kinder oder Erwachsene.
wie viele solcher Orte es in Gebieten Nepals gibt, die einem das Gefühl von Niemands-Land vermitteln, vermag ich gar nicht zu schätzen, dass es viele weitere ähnliche Initiativen der lokalen Bevölkerung gibt, lässt sich hoffen und wünschen.
sechs Tage später – – –
wird mir sehr viel deutlicher klar, wie sehr die natürliche Struktur des Landes ein Geschenk und eine unendliche Herausforderung gleichermaßen ist. Aus der Luft zeigt Nepal einmal mehr seine beeindruckende Schönheit der Natur, zahllose Hügelketten und Schluchten über die sich endlose kleine Straßen in Serpentinen winden, die Hügelketten werden zu Gebirgszügen, in denen die Straßen immer winziger werden, bis sie irgendwann als Wege an den Berghängen enden.
unerreichbar sein. was in Europa einem Luxus gleicht, ist hier gelebte Normalität. der Flughafen von Phaplu, unserem zweiten Ziel, wird seit Monaten – bis auf weiteres – umgebaut, die Straßen sind auf Grund der Vor-Monsun Regenfälle nicht passierbar weil die Jeeps im Schlamm steckenbleiben, somit bleiben Helikopter die einzige Möglichkeit, das Gebiet im Solukhumbu-Distrikt überhaupt zu erreichen. Auch hier werden Lebenswerke Wirklichkeit; die Himalayan Care Foundation als deutsch – nepalesische Kooperation hat sich mit dem Bau von Schulen und behindertengerechten Gebäuden in beeindruckender Weise den Kindern dieser entlegenen Region angenommen. alleine wenn ich mir versuche, im Detail die Logistik zu vergegenwärtigen, die dafür erforderlich ist, bin ich ehrlich zutiefst beeindruckt.
und auch hier wieder – die Unschätzbarkeit: es müssen zahllose Orte und Landstriche wie dieser sein, die sich an den Hängen des 3000 km langen Himalaya in den Vorgebirgen erstrecken, Hunderttausende Kinder, die in dieser abgelegenen Welt leben – und vielleicht auch Tausende Menschen, die sich deren Bildung und Leben annehmen.
elf Tage später – – –
wird noch einmal die Frage aktuell: wäre es vielleicht doch eine Option, eine Clown-Popstar Karriere hier in Nepal zu starten?
bis dato habe ich so unterschiedliche Reaktionen bei den besuchten Kindern auf einer Clowns ohne Grenzen Tour nicht gesehen – natürlich ist das Alter der besuchten Kinder immer eine wesentliche Komponente, hier in Nepal kommt aber die Abgelegenheit der Spielorte dazu, durch den jeder kulturelle Kontext zu unserer Show im ersten Moment fehlt. egal ob im Terai oder Solukhumbu, die Kinder waren altersunabhängig vielfach erst schüchtern und abwartend, staunend und neugierig, um dann nach einer Weile umso begeisterter mit uns in Kontakt zu treten.
innerlich musste ich oft lachen, ich war mir nicht sicher, wer staunt hier eigentlich mehr – ich, der ich in die zunehmend lachenden Augen dieser Kinder schaue, oder die Kinder, die uns anschauen als wären wir aus einer anderen Galaxie erschienen.
in der grenzenlosen Gastfreundschaft Nepals, über die ich im Blog bereits geschrieben hatte, dauerte es allerdings nicht lange, Teil des Ganzen zu werden. natürlich weiß ich theoretisch schon hunderte Male, dass Lachen Grenzen überwindet, selten aber habe ich es so authentisch erlebt wie auf dem Markt von Nele; nach einem dreistündigen Fußmarsch im Spiel der Show mit einer Dorfgemeinschaft von 500 Menschen zu verschmelzen, zeigte mir eindrucksvoll: Humor verbindet Völker.
ähnlich die Kinder von Katmandu, die wir an einem Spieltag zwischen unseren Reisen aufs Land kennenlernen sollten, und in den letzten Tagen der Tour. diese Kinder und Jugendlichen mögen in Armut leben und in vieler Hinsicht unterprivilegiert sein – in materieller Hinsicht mag das alles stimmen, aber wenn es um Begeisterung, Offenheit und Fähigkeit zur Freude geht, sind diese Kinder reich wie Königinnen und Könige.
nach der Show – – –
zurück durch den Smog und Staub, der sich wie eine zweite Haut auf die Menschen legt – wieder fällt es mir auf, wie gleich am ersten Tag, und auf jedem unserer Wege durch die Stadt: ein Plakat, das vielfach in ganz Katmandu hängt und den Titel trägt „die Fußball Wm in Nepal“ oder „die Fußball Wm der Nepalesen“; es wird noch ein paar Tage dauern, bis es für mich seinen Sinn und sein Anliegen in der ganzen Tragweite erschließt, und wieder kommt das in Gesprächen mit unseren Gastgebern und Projektpartnern.
die Armut macht Nepalesen zu einem Volk, das der Ausbeutung oft tatenlos zusehen muss; wöchentlich, wird uns erzählt, landen drei Särge aus den Arabischen Emiraten in Katmandu. es waren überwiegend Nepalesen, die unter verheerenden Arbeitsbedingungen die Wunderbauten in Dubai als Gastarbeiter geschaffen haben, und es sind wieder die Wanderarbeiter aus Nepal, die zur Zeit in Qatar auf den Stadien-Baustellen für die Fußball Wm 2022 tätig sind; in der Hoffnung auf ein besseres Einkommen und Auskommen ihrer Familien, auf ein glückliches Leben, verlassen sie ihr Land; die Frauen kommen vielfach als schwer misshandelte Hausangestellte zurück, die Männer als Opfer eines maßlosen Fußball-Wahnsinns.
na dann – lasset die Spiele beginnen.
die Weltgemeinschaft zögert sehr deutlich, solche Zusammenhänge in den Focus zu nehmen, nur wenige westliche Medien greifen diese Themen auf.
zurück zum Flughafen – – –
ziehen die Straßenkinder Katmandus vor meinem inneren Auge vorbei, viele die wir gesehen haben, sind gesichert und haben wieder Boden unter den Füssen, aber immer noch zu viele torkeln nachts durch Thamel, einem touristischen Viertel von Katmandu – in der einen Hand eine Klebstofftüte, in der anderen das Nichts, das sie den Passanten entgegenstrecken.
ich strecke dem Grenzbeamten meinen Pass entgegen, er lächelt freundlich und fragt: did you enjoy your stay in Nepal?
yes – I did.
zum greifen nah sind sie; wieder entlang an den immensen Gebirgsketten entlang fliegend, kann ich erste Erinnerung sortieren. Nepal hat nun Farben und Formen, Gerüche, Geräusche, Geschmäcker, und viele bestaunte Eindrücke.
vor allem aber hat es eines – zumindest für mich: tausende lachende Augen, die mir immer gegenwärtig bleiben werden.