Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1991 war Albanien das drittärmste Land der Welt. Der Verlauf des Zusammenbruches war sehr chaotisch, was vor allem die Massenflüchtlingswellen nach Italien und Griechenland in den Jahren 1991/92 zeigten. Während es in den folgenden Jahren für viele Albaner*innen langsam aufwärtsging, wurden die Roma oft vergessen oder bewusst übergangen. Viele wurden in Siedlungen an die Stadtränder abgeschoben, ohne Strom, ohne fließendes Wasser, ohne Perspektive. Auch heute wohnt ein Großteil der schätzungsweise 100.000 Roma im 2,8-Millionen-Einwohner*innen-Staat Albanien in solchen Verhältnissen.
Itinerary Date :07.10.2023Tag 0, die Vorbereitungen laufen...
01.10.2023
Vier Jahre ist es her, dass die Clowns ohne Grenzen das letzte Mal den jungen Menschen in Albanien einen Besuch abgestattet haben. Es ist also dringend Zeit geworden, dass sich Buke (Heiko), Pite (Michi), Lule (Imke) und Fotografin Clara am Rande der Landeshauptstadt Tirana zusammenfinden und sich für die einwöchige Tour von Elbasan bis Shkodra vorbereiten. Unter den neugierigen Blicken der benachbarten Menschen, Pferde und Hunde wurde jongliert, gezaubert und getanzt. Um dem diversen Publikum gerecht zu werden, wurden gleich mehrere Varianten der Show einstudiert. Nun sind der Showkoffer gepackt, die roten Nasen poliert, die Instrumente gestimmt, die Jonglierbälle gezählt und das Team bereit, den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein Lachen zu schenken. Wir freuen uns schon sehr auf die vielen Wiederbegegnungen und neue Bekanntschaften!
Tag 1
02.10.2023
Der erste Spieltag der Albanien-Tour brachte den Kindern und Jugendlichen, ihren Betreuer*innen und dem Clowns-Team die unterschiedlichsten Emotionen und Erfahrungen.
Wir besuchten als erstes ein Schutzhaus für junge Opfer von Menschenhandel. Auf diesen Besuch haben wir uns besonders vorbereitet und die Show auf die Bedürfnislage der Mädchen abgestimmt.
Nach einer spannenden Fahrt zu einem gut abgesicherten Ort trafen wir auf aufgeregte und gespannte Mädchen, die mit jedem Showteil mitfieberten, mitfühlten und alles mitmachten – die Freude und die Aufregung waren sehr präsent und das Spielen war vor und mit der kleinen und geschlossenen Gruppen sehr intensiv. Einzelne Mädchen gingen freudig in Beziehung zu den Spieler*innen, andere öffneten sich im Laufe der Show und zeigten ihre Emotionen vor allem nach der Show durch Herzsymbol-Gesten und Lächeln.
Schön war, dass die Mädchen mit ihren Betreuerinnen gemeinsam Lebensfreude teilten – und jede durfte noch einmal Clownsnase antippen!
Über einen kurzen Zwischenstopp gelangten wir trotz des allmählichen Versagens des gemieteten Tourautos ins Sozialzentrum „Te Qendrojme Se Bashku“ (deutsch: „Lasst uns zusammenbleiben“) in Tirana, der Hauptstadt. Rund 30 Kinder versammelten sich in einem kleinen Saal mit Bühne – kleine Kinder, ihre Eltern und auch Jugendliche und Erwachsene Mitarbeiter*innen. Die Kleineren konnten ihren Bewegungsdrang ausleben und spielten mit Begeisterung die Tiernummer mit, indem sie dem Clown erklärten, wie man was macht. Auch das Zählen auf albanisch brachten uns die Kinder bei und singen können sie auch!
Nach der Show wurde gleich die Bühne erobert und wir verteilten noch unsere frisch gedruckten Postkarten als Erinnerung.
Draußen wartete bereits ein Mitarbeiter der Autovermietung und tauschte den defekten Wagen, damit wir uns morgen wieder auf den Weg zu den Kindern machen können.
Imke
Tag 2
03.10.2023
Schon das Frühstück in unserer Unterkunft wurde mit der alltäglichen Fahrstuhlmusik untermalt. Anscheinend gibt es nur die eine CD im Hause. Beim Abendessessen gestern, hatten wir das Gefühl das Restaurant nebenan hat auch nur dieselbe CD.
Unsere erste Show heute spielen wir in einem Community Center das täglich von drei Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten besucht wir. In erster Linie geht es hier um die Integration von Kindern der Roma und die Arbeit gegen Mobbing.
Wie erwartet waren die Kids voll bei der Sache. Zum Schluss haben fast alle zu unserem Ausmarschsong getanzt. Eine der Sozialarbeiterinnen bedankte sich für die willkommene Abwechslung im Alltag.
In diesem Stadtviertel leben sowohl wohlhabende als auch die hier sogenannten „purepeople“ aus den umliegende Wellblechhütten.
Unser 2. Auftritt war in einer Schule mit Kindern zwischen 5 und 16 Jahren. Laut Plan sollten es ca. 50 Kinder sein. Zu unserer angenehmen Überraschung waren es dann doch 400, die voller Inbrunst unserer Show folgten. Gefühlt haben wir jedem einzelnen ein high five gegeben. Noch während der Abfahrt riefen alle begeistert Pite, Lule und Buke.
Die dritte Show spielten wir wieder in einem Community Center. Die rund 20 Kinder waren zu Beginn des Programms noch recht verhalten, was sich aber immer weiter lockerte, so dass zum Schluss wieder gemeinsam mit uns getanzt wurde.
Nun sind wir etwas müde und freuen uns auf einen entspannten Feierabend mit Blog schreiben, Fotos sortieren, Wäsche waschen, Instrumente putzen und einem kaltem Getränk, damit wir morgen fit sind für die nächsten drei Spielorte.
Hier schon mal ein Dank an unsere Clara Klick für all die tollen Fotos sowie die so wichtige Kommunikation mit den Ansprechpartner:innen der Partnerorganisationen vor Ort.
Heiko
P.S.: Sehr Euch unser Reel von diesem Tage hier an!
Tag 3
04.10.2023
Es hallen noch das Lachen, Rufen und Singen durch unsere Köpfe in Gedanken an die 1.000 Kinder und Jugendlichen für die wir heute spielen, zaubern und tanzen durften.
Der morgendliche Weg zum Auftrittsort führte uns wieder durch die verstopften Straßen Tiranas, vorbei an geschäftigen Menschen auf dem Arbeitsweg oder bei einem Kaffee am Straßenrand – wobei zweiteres auffällig nur Männer betrifft. Endlich an der ersten Schule des heutigen Tages angekommen wurden wir von Denita, Mitarbeiterin der Initiative for Social Change ARSIS, herzlich in Empfang genommen, der Schulleitung vorgestellt und in die Halle geführt, die später ihrem Namen alle Ehre machen sollte. Ein sehr schöner Theaterraum bot uns eine Bühne und über 200 Kindern der 1. und 2. Klasse einen Boden, auf dem sie schon bei unserem musikalischen Einzug aufgeregt hin- und herrutschten und nahezu jede unserer Aktionen mit freudigem Kreischen belohnten. Nachdem die Luft im fensterlosen Raum fast weggelacht war, wirbelten wir die restliche Luft noch gemeinsam zur Musik hopsend ein wenig auf, um uns anschließend kurz an der frischen Luft oder im Klassenzimmer – je nach Gruppenzugehörigkeit – von diesem sinnlich beeindruckenden Start in den Tag zu erholen.
Schon kurze Zeit später erwartete uns eine Gesamtschule in Pertrela, etwas außerhalb von Tirana, die in Partnerschaft mit SHKEJ – Shoqata Kombëtare Edukim për Jetën (dt: dem Nationalen Verband Bildung fürs Leben) regelmäßige Spiel- und Kulturangebote für die Kinder von der 1. bis zur 8. Klasse anbietet. Nach Aussage von Ardita, unserer Ansprechpartnerin bei SHKEJ, gibt es ansonsten so gut wie keine Möglichkeit Kultureller Bildung für die jungen Menschen. Für manche Kinder dort ist es laut Ardita sogar ein Highlight, mal einen Spielplatz zu sehen. Für den Bedarf hier und an anderen Orten fehlen SHKEJ allerdings schlichtweg die Ressourcen, weshalb sie sich ganz besonders über unser Angebot freuen und uns noch viel mehr Spielorte hätten organisieren können.
Mit Hilfe des Englischlehrers wurde der Vorplatz der Schule in ein Freilichttheater umfunktioniert, in das aus Platzgründen von den Lehrkräften vorerst nur die Kinder der unteren Jahrgangsstufen eingeladen wurden, während die älteren Schüler*innen nebenan weiter Unterricht haben sollten. Das war natürlich nicht durchzuhalten und so folgte dem Ende der Show schließlich die ganze Schule.
Zurück in Tirana verbrachten wir eine kleine Pause in einem Café, das von einer Dame geführt und von zahlreichen Herren plus vier Reisenden besucht war, die schnell zum Thema im ganzen Lokal wurden. Nach einem kräftigen Kaffee waren wir gestärkt für die Nachmittagsvorstellung vor mehr als 600 Jugendlichen eines städtischen Gymnasiums, dass von der Caritas unterstützt und gelegentlich mit kulturellem Programm, wie dem unseren versorgt wird. Allen Zuschauenden, in dem riesigen Halbkreis gerecht zu werden, war eine Herausforderung – zumal die Interaktion mit uns von allen Seiten immer wieder eingefordert wurde. So haben wir „groß“ gespielt (auch die kleineren unter uns) und unsere Aufmerksamkeit sorgsam verteilt. Am Ende wollten die Jugendlichen uns gar nicht gehen lassen und begleiteten uns zupfend, neckend und händeschüttelnd bis zum Ausgang der Schule, wo uns dankend die Schulleitung sowie das Team der Caritas verabschiedet haben.
Kaum zurück im Hotel erreichte uns eine Nachricht von Denita mit den Worten: „Thank you so much for providing wonderful moments for children!“
Sehr gern geschehen, dafür sind wir hier und kommen gerne wieder!
Michi
Tag 4
05.10.2023
Zum letzten Mal fütterten wir heute den Straßenhund, der irgendwo in der Nähe unserer Unterkunft wohnt – denn heute hieß es: raus aufs Land!
Auf Plastikmüll-umsäumten Straßen, vorbei an Ziegen- und Putenherden über Flüsse und Brücken ging es nach Elbasan.
Die Kinder des Kindergartens der Albanienhilfe Weilheim e.V. erwarteten uns aufgeregt. Wieder hatten wir die Show, diesmal auf die Bedürfnisse kleiner Kinder, abgestimmt. Die 25 Kleinen und ihre 5 Betreuer*innen erlebten etwas ganz Neues. Noch nie hatte jemand für sie gespielt, getanzt, gezaubert und Blödsinn gemacht, wurde uns berichtet. So war es unsere Aufgabe, vereinzelte Skepsis in Lebensfreude zu verwandeln. Und tatsächlich – puh – wir ließen 25 schnatternde, singende, Teller-drehende und lachende Kinder unter viel Gewinke zurück.
Die nächste Show folgte sofort. Das Kinderheim des Vereins auf dem gleichen Gelände hatte die Schüler*innen der gegenüberliegenden Schule geladen und 95 Menschen zwischen 6 und 17 Jahren schenkten uns durch ihre Lebensfreude die Farben des Sommers. Die, die sich in Wärme verwandeln, wenn man sich an sie erinnert.
Buke, Pite und Lule stolperten, alberten, zauberten und quietschten sich fröhlich durchs Programm und alle sangen zum Schluss begeistert das Schlusslied der Show mit.
Beim gemeinsamen – sehr leckeren – Mittagessen erfuhren wir, dass manche Kinder in dem Heim leben, deren Eltern seelisch erkrankt sind oder aber die Kinder nicht ausreichend versorgen konnten. Und dass hier kulturelle Angebote völlig fehlen und man so Gefahr läuft, dass die Kinder sich nur an Vorbildern aus den Massenmedien orientieren können. Gut, dass die Clowns immer wieder kommen.
Nach herzlichen Verabschiedungen fuhren wir nach Cerrik, wo wir auf dem Platz vorm kleinen Theater mit Kawumm aus enormen Boxen empfangen wurden. Also gab es erst einmal ein kleines Tänzchen mit den ersten Kids, die schon warteten.
Fürs Umziehen durften wir das Theater nutzen und die umsichtige Clara lotste uns durch die Menge nach draußen zum Spiel-Platz, an dem schon 150 Leute unter den gestrengen Augen der Caritas-Schwestern warteten – eine magische Kreidelinie-der-Vorsicht sorgte dafür, dass die drei Spieler*innen den Spielraum nutzen konnten und Erwachsene und Kinder, die sich ca. je zur Hälfte aus Teilnehmenden der Nachmittagsbetreuung der Caritas und aus dem Ort Herbeikommenden zusammensetzten, im Trubel überhaupt etwas mitbekommen konnten.
Der Weg durch die die Spieler*innen umringende Menge zurück ins Theater war dann eine kleine Herausforderung.
Hungrig und müde fuhren wir gefühlt durchs ganze Land, an Bauruinen und Feuern vorbei, die mal nach Rodung, mal nach Plastik, mal nach Grill rochen an den nächsten Spielort Shkoder, wo wir übernachten dürfen. Bei Schwester Christina und Schwester Michaela im Kloster ‚Spirituelle Weggemeinschaft‘ bekamen wir ein liebevoll gekochtes Abendessen und wunderbare Gespräche über Gott, die Welt, Blutrache und die Pflege hilfsbedürftiger Menschen. Und über Bürokratie, natürlich.
Imke
Tag 5
06.10.2023
Mauuuuu, unser letzter Spieltag beginnt.
Zum ersten Mal auf unserer Tour können wir zu Fuß zu unserem Auftrittsort gehen.
Nur 3 Min. entfernt von unserer Unterkunft bei den beiden Schwestern ist der Kindergarten ihrer Einrichtung. Dort warteten schon 45 Kinder zwischen 3 und 6 Jahren. Die Kids saßen schon im Gruppenraum, doch wir wollten noch auf Antonio und Schwester Christina warten. Antonio ein 10-jähriger Junge mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, der bei den Schwestern lebt, super offen ist und hier schon sehr viel gelernt hat, wollten wir ermöglichen, unsere Show zu erleben.
Hier mal ein Eigenlob, Michi, Imke und ich sind zum Glück, Bühnen- und Showerfahren genug, um auch solch kleine Kinder abzuholen und nicht zu überfordern.
Nach dem Lunch – lieben Dank an Schwester Michaela und Christina – machen wir uns auf zu Gig zwei. Ein Kinderheim in Shkodra in dem bis zu 20 Kinder leben – zur Show waren 16 da. Kurz nach unserem Beginn kam unerwartet eine Gruppe junger Erwachsener, die anscheinend öfters in die Einrichtung kommen. Die Kids sprangen auf und umarmten einige der Kommenden.
Wir unterbrachen unser Programm, um die Situation erstmal zu checken und anschließend weiterzuspielen. Ich hatte den Eindruck, einige Kids waren mit unserem Programm überfordert und konnten dies alles schlecht für sich einordnen. Theater hatten sie noch nie erlebt.
Unser letzter Auftritt auf dieser Tour war im Ort Rragam. Eine 800 Seelen Gemeinde in der, anders als durchschnittlich in Albanien bedeutend mehr Christen als Muslime leben.
Unter „Flutlicht“ spielten wir auf dem Platz vor der Kirche für rund 120 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Während der Show war unser Publikum verhaltener als bei anderen Vorstellungen. Um so überraschender war für dann der Schlussapplaus bei dem tatsächlich alle begeistert klatschten.
Heiko
Ein kleines Reel von diesem Tage gibt es hier.
Tag 6
07.10.2023
Das war Clowns ohne Grenzen in Albanien 2023 vom 01.10.-06.10.2023.
Und zack sind 5 Spieltage der Clowns ohne Grenzen in Albanien rum. In 14 Vorstellungen für Gruppen von 5-600 Zuschauenden begegneten Buke, Pite, Lule und Clara rund 2.000 jungen Menschen in Kinderheimen, Kindergärten, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen. Die emotionalen gemeinsamen Momente – lachend, weinend, staunend, verliebt, verärgert und versöhnt – bleiben bei uns, den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sicherlich noch lange in Erinnerung. Vielleicht konnten wir auch den ein oder anderen Impuls geben, für eine kleine oder größere Veränderung oder für einen glücklichen Moment in einer individuellen Lebenswelt, die gerade in diesem Land große Herausforderungen mit sich bringt.
Gerade in einer Zeit, in der die Bevölkerung Albaniens ins Ausland flüchtet – vor der allgegenwärtigen Korruption auf allen Ebenen, der Bedrohung durch mögliche Blutrache oder der Angst, im Krankheitsfall in einem maroden Gesundheitssystem nicht ausreichend versorgt zu werden. Das folgern wir zumindest aus den zahlreichen Gesprächen und Erzählungen unserer Kooperationsparter*innen, die sich diesen und vielen anderen Herausforderungen stellen und junge Menschen bestmöglich auf ihrem Weg begleiten – leider größtenteils ohne Unterstützung des Staates.
Vielleicht haben wir gerade deshalb besonders viel Dankbarkeit für unsere wiederholten Besuche von 2015-2023 erfahren. Und mit jedem Kontakt, jedem Erleben der Arbeit der Clowns ohne Grenzen entstehen neue Ideen für Spielorte, Workshopangebote und Kooperationsmöglichkeiten. Der Vorstellungs- und Fortbildungsplan für eine weitere mehrwöchige Reise ist im Grunde schon voll.
Deshalb beginnt nun auch ein bisschen Nachbereitungsarbeit. Eine strukturierte Dokumentation von Kontakten, Fotos und Erfahrungen soll die Nachhaltigkeit, Wiederholbarkeit und vor allem Qualifizierung der Reise sicherstellen. Denn zack sind auch schon wieder ein, zwei Jahre rum und es wird wieder Zeit sein für einen Wiederbesuch.
Vielen Dank an alle ehrenamtlich Beteiligten, Unterstützer*innen und Kooperationspartner*innen dieser Reise, an Reisepatin Mia Rohrbach, an Uta Strack für die Erstakquise und an die Reisenden Clara, Imke, Heiko und Michi für Clowns ohne Grenzen Deutschland e.V.