Türkei / Syrien 2013, die zweite Reise
Die Planungen, vom 13.-18.10.13 erneut die türkisch – syrische Grenzregion zu besuchen, laufen auf Hochtouren, ob es möglich ist die zwei Flüchtlingslager auf syrischer Seite in Atme und Tal Alkarama zu besuchen, wird das Team erst vor Ort erfahren.
Das Stück wurde, aus den Erfahrungen des ersten Teils der Tour adaptiert und leicht geändert.
Die Clowns sind wieder Miriam Brenner und Heiko Mielke, als Filmer wird Malte Thuilot aus Köln die begleiten. Logistisch werden wir wieder von Osman, Jessica Appelt und Dunja Khoury begleitet und versorgt.
Hier ein Probenfoto vom 4.10.2013
Wir hoffen, dass es wieder gelingen wird, eine so erfolgreiche Reise wie im Mai zu gestalten :o)
Schön wieder hier zu sein
Nun sind wir also wieder da. Ich kann es nicht fassen. Seltsam ist, dass es mir vorkommt, als wären wir kaum ein paar Tage weggewesen…
Dort wurden wir mit einem großen Lächeln und dem Wort „Fuuuuuhl“ (Heikos Clowns-Name) von einem uns bekannten Fahrern abgeholt. Er fuhr uns bei unsrer ersten Reise Ende Mai zu unserem ersten Spielort in einer Waisenschule für syrische Flüchtlingskinder.
Nach einer guten Stunde Fahrt durch die Landschaft kamen wir im Hotel an, wo wir bereits beim letzten Mal gewohnt hatten. Auch hier strahlten die Augen und Heiko wurde von den Männern (die v.a. Heiko wieder erkannten… an was das wohl liegt?) umarmend empfangen. „Fuuuhl, Falaaafel“ hörten wir auch hier und wir freuten uns Alle zusammen, dass wir wieder hier angekommen waren.
Meine Tasche mit kleinem Vorhängeschloss, indem sich quasi ALLES von Falaafel befindet, lässt sich erst durch Hammer, Schraubenzieher und Zange von einem tat- und schlagkräftigen hilfsbereiten Mitarbeiter des Hauses öffnen. Ich war stark beeindruckt.
In einem lauten, geruchvollen Lokal gab es leckeren Salat, Reis und… halt einfach gesunde Sachen.
Mit Hussein, dem Grenzbeamten, unserem Freund von letztem Mal, tauschten wir immer wieder wohlwollende und lächelnde Blicke aus. Er war auch hier und mit angeregten Gesprächen beschäftigt. Wir werden Morgen wieder mit ihm Essen gehen, um nicht nur über einen eventuellen grenznahen Besuch am Flüchtlingslager Olive Tree Camp in Athme zu sprechen, sondern ihn auch mit neuen Zaubertricks zu verblüffen.
Ok. Dann können wir ja jetzt schlafen. Gut schlafen werden wir. Unsre Augenlider sind schwer, aber die Vorfreude auf Morgen riesengroß!
Unsre erste Show im 40 km entfernten Antakya vor 150 syrischen Waisenkindern.
PS: Die Fotos sind übrigens sogenannte „snap-schnotts“ – Malte hat seine bewegten Videos zum Stehen gebracht.
Danke Malte! Danke auch, dass Du Dich mit Deiner Ar(bei)t bei uns so wunderbar einbringst!
Geglückte erste Show
Nach einer wiederum kurzen Nacht fuhren wir am Morgen ins 45 km entfernte Antakya. Dort spielten wir auf sehr beengtem Raum vor dem Schulgebäude (teilweise saßen Kinder schon hinter uns) in einer Schule für syrische Flüchtlingskinder die alle Waisen oder Halbwaisen sind.
Viele der ca. 150 Kinder im Alter zwischen 4 und 12 Jahren mussten miterleben wie Ihre Eltern erschossen wurden, durch Folter umkamen oder unter Bombentrümmern starben.
Die Erwachsenen versuchen durch Gelegenheitsjobs und/oder betteln das Nötigste zusammen zu bekommen.
Auch eine der jungen Lehrerinnen, die aus Latakia geflohen kam, erzählte, dass sie ihren Vater vor zwei Jahren durch Folter verloren hat. Sie selbst habe von einem Verwandten ein Bild des Leichnams ihres Vaters in einem Briefumschlag als Beweis erhalten. Seit zwei Jahren liegt dieser Umschlag bei ihr, aber sie wird ihn wohl nie öffnen.
Zurück in Reyhanli fuhren wir ins Büro der Maram Foundation, unserem Kooperationspartner vor Ort.
Drückt uns die Daumen.
Was war das Alles?
Er war gerade dabei das im Vorgarten aufgehängte Schaf auseinander zu nehmen und bat uns, noch eine kleine Show für sie zu spielen. Heiko überwältigte wieder einmal mit seinem Zigaretten-Verschwinde-Kunst die Gemüter. Magische Momente auch hier…
Es war ein unglaubliches Gefühl für uns beide in unserem Clownskostüm an die Grenze zu fahren, vor dem Stacheldrahtzaun aus dem Auto zu steigen und dann „einfach so“ durch die kleine Öffnung am Zaun vorbei an bewaffneten Kämpfern rüber zu gehen. Und dann waren wir wieder in Syrien. Und das war einzig und allein Osmans empathischem Kommunikationstalent und dem doch eigentlich weichen Kern des Grenzbeamten zu verdanken. Ein wirkliches Wunder…
Quelle: Welt Online Politik
Hach ja,…
Es ist wieder so ein voller Tag, dass ich die Videoschnippsel, die wir auf Maltes Rechner sehen, nicht mit dem heutigen Tag in Verbindung bringen kann.
War das wirklich heute Morgen, als wir nach Hacipasa gefahren sind, in die Schule für syrische Flüchtlingskinder, in der wir im Mai unsere aller erste Show gespielt hatten und von Benzin-Schmugglern umgeben waren?
Wir wurden von einem anderen Fahrer, Achmed, abgeholt, der sonst viel für Hussein über die Grenze fährt. Er war sehr schick angezogen und hatte bisher den angenehmsten Fahrstil. Er ist der erste Fahrer, der sich angeschnallt hat. Selbst wenn wir uns hinten hätten anschnallen wollen… es gab gar keine Gurte.
Während der Show hat er mehrmals den Raum verlassen, weil ihm vor Rührung die Tränen in die Augen stiegen.
Aus unserem Umkleidezimmer hatten wir einen weiten Blick übers Land. Plötzlich wurde uns wieder bewusst: in nur ein paar hundert Metern, noch vor den Hügeln, beginnt Syrien und dort ist Krieg.
Auf dem Weg dorthin mussten wir einen Militärposten passieren, unsere Ausweise zeigen und die Taschen öffnen. Heiko holte kurz die Keulen raus, um zu ziegen, was wir damit vor haben. So durften wir ohne Probleme weiter fahren.
Ein paar Kinder erkannten wir von letztem Mal wieder, aber der Großteil waren neue Flüchtlingskinder. In dem 18m/2 großen Raum warteten an die 45 Zuschauer auf uns.
Das Lachen und Mitmachen der Kinder war hier enorm und sehr berührend. Ein Mädchen war so fasziniert von unserem Treiben, aber gleichzeitig auch so hilfsbereit, dem Jungen neben ihr die Schnürsenkel zu binden. Und das, ohne dabei den Blick von uns abzuwenden…
Die kurdische Leiterin der Schule hat erst vor einem Monat hier angefangen. Sie war ebenfalls sehr gerührt über unser Kommen.
Auf dem Weg zurück nach Reyhanli passierten wir wieder die Straßensperre. Die Soldaten wunderten sich, dass nun nicht nur sie im Kostüm da standen. Prompt gab es eine kleine Fotosession und alle sonst zu kontrollierenden Fahrzeuge wurden kurz mal durchgewunken.
In Reyhanli fuhren wir sogleich in eine türkische Schule, die für syrische Kinder „frei gegeben“ wurde und spielten zwei Shows mit Zwischenpause.
Hier kamen wir mal wieder so richtig ins Schwitzen, da wir im Freien spielten. Zwar gab es sogar eine Bühne, aber die Schulbänke für die ca. 450 Zuschauer der ersten Show waren zu weit davon aufgestellt. Wir entschieden uns auf dem Schotter direkt vor den Kindern zu spielen. Die „Bühnenbreite“ betrug etwa 15m. Wir durften hier also eeeendlich mal richtig grooooooooß spielen!
In der Pause kam uns ein bekannter Junge in unserem Rückzugsraum, einem kleinen Küchenbüro, besuchen. Ihn haben wir in der Reha-Klinik im Mai getroffen. Er hat ein amputiertes Bein und geht immer noch auf Krücken, da er keine Prothese, sondern sein eigenes, echtes Bein zurückhaben will.
In der zweiten Show vor rund 250 Zuschauern, inklusive Zaungästen, kamen noch zusätzlich 50 syrische Waisenkinder der Schule dazu.
Nach der Show gab es eine ausgiebige „sura“-Session… immer wieder kamen Kinder und riefen „sura, sura,… Fuuuhl, Falaaafl… sura“… Auch Kinder, die gar keinen Fotoapparat oder Handy dabei hatten, fragten nach einem „sura“, stellten sich um uns herum und posierten für ein Gruppenfoto.
Danach waren wir froh, dass wir früher als die letzten gefühlten knapp zwei Wochen (dabei war es gestern erst eine) ins Hotel zurückkehren konnten, um uns und unsere Sachen zu waschen.
Zum Essen gab es heute mal was anderes: Hühnchen mit Pommes und Pizza. Auf meiner Pizza war so viel Käse wie ich im ganzen Jahr nicht gegessen habe.
High Noon
Heute konnten wir richtig ausschlafen.
Das bedeutet wir spielten unsere erste Show um 12.00 Uhr. Und das wieder in der Schule von gestern. Begrüßt wurden wir mit unsren Clownsnamen. Da war uns klar das Viele unsere Shows gestern schon gesehen hatten.
Da auf unserer „Bühne“ gestern ziemlich viel Müll lag, griff Miriam spontan in die pädagogische Kiste, schlüpfte in den Hochstatus und schickte mich Müll sammeln. Es dauerte nicht lange, und einige Kinder begannen auch Müll zu sammeln. Sogar nach unserer Show machten sie weiter. Müll zu sammeln war plötzlich das Allergrößte…
Die Show selbst war zu einem großen Teil improvisiert da Viele die einzelnen Nummer schon ein- oder zweimal gesehen hatten.
Nach dem obligatorischen Smalltalk im Büro der Schulleitung wurden wir von unserem „Border-Hussein“ abgeholt.
Als Dankeschön für das Vertrauen und das Ermöglichen des Grenzenübertritts, spielten wir für die Kinder und Erwachsenen der Hochzeitsgesellschaft im tscherkessischen „Vereinsheim“.
Unsere letzte Show spielten wir im Krankenhaus für syrische Kriegsverletzte.
Viele der Zuschauer saßen in Rollstühlen, hatten Beinverletzungen, Kopfschüsse oder andere durch Bomben oder Trümmer verursachte Verletzungen – die Blicke einiger waren extrem leer.
Die Reaktionen des Publikums waren eher verhalten. Wir freuten uns während dem Spielen immer an den kleinen Momenten, in denen die Augen leuchteten oder ein kurzes Lächeln im Gesicht zu sehen war.
Und die Tatsache das Alle gemeinsam ein solches Erlebnis teilten und aus ihren Zimmern auf den Hof gebracht wurden, hat einen nicht zu unterschätzenden wichtigen Effekt.
Der Chef der Klinik war von unserem Besuch offensichtlich sehr gerührt und bedankte sich mit einem Strahlen sowie der Bitte, beim nächsten Mal wieder vorbei zu kommen.
Resultat:
4 Tage, 11 Shows, 1750 Zuschauer… außerdem:
3,5 Kilo Humus, 54 Falafl, 1 kg Ful, 40 Liter Wasser, 10 Liter Tee, 3 Kaffee, 35 Grad in der Sonne, 25 Hochzeiten, 500 durch Mottenkugeln hervorgerufene Fehlzündungen der vorbeifahrenden Mopeds, 500 Fehlzündungen durch Bohnen, Zwiebeln und Kichererbsen, 1 geschächtetes Schaf, 1 Hochzeitsschlägerei, 5000 Hupzeichen, 25 Muazzin Gebetsrufe plus 1 Gebetsruf bei dem sich der Rufer verhaspelte, 80 Std. Übersetzungstätigkeiten Osmans, 22 Std. Schlaf pro Person, tägliche Wartezeit 3-4 Std., 25 Std. Filmmaterial, 1 neu gegründete Clownsvorgruppe mit Potential, 5 Pferde-, 2 Eselkarren, 5 neue persönlich bekannte Facebookfreunde (darunter Hussein), 2 Grenzübergänge im Clownskostüm, 1 Militärkontrolle mit Fotosession, viele Sonnenbrillenmomente (nicht unbedingt wegen der Sonne), viele Traumatisierte doch unzählige Lachende und unzählige Einladungen bitte wieder zu kommen……. *
Es ist tatsächlich wieder Abreise-Tag
Wir sitzen im Flugzeug in Istanbul und warten auf den Start der uns dann wieder nach München und weiter nach Düsseldorf und Hamburg bringt.
Wir verabschiedeten uns von Osman und Jessica nach unserem letzten gemeinsamen Frühstück. Da deren Flieger erst später geht, konnten sie vormittags nochmals im Krankenhaus vorbei, wo wir gestern unsere letzte Show spielten.
Mir war bei unserer Verabschiedung irgendwie so, als würden wir uns sowieso bald wiedersehen. Insallah! Und man kann es nicht oft genug sagen:
DANKE!!!
Danke Euch beiden/ dreien von Herzen, aus tiefstem Herzen… Ihr seid verrückt – zum Glück!!!
Achmed, der liebevolle Fahrer mit dem allerbesten Fahrstil, holte uns pünktlich um kurz vor 9 Uhr ab. Auf der Fahrt zum Flughafen Hatay fuhren wir wieder nah an der syrischen Grenze entlang. Stacheldrahtzäune, Sandsäcke, Warnschilder und Militärstützpunkte rauschten in wenigen Metern neben uns zum Greifen nah vorbei. Der Himmel war sehr bedeckt.
Meine Gedanken vermischten sich mit allen möglichen Bildern, Gesprächen, Geräuschen, Kontakten,… Händen greifen nochmals nach mir, unzählige Augen schauen uns an,…
Es fing an zu regnen, und wir dachten uns, wie wird es nun, wenn die Nächte kalt werden und auch hier die Temperatur bis auf Minusgrade abfällt, es viel regnen wird,… Wie wird es den Menschen im Flüchtlingslager gehen? Welche Familie hat es einigermaßen trocken? Bei wem wird das Zelt oder das eigenhändig gebaute Lehmhäuschen halten? Wer wird den Winter überleben?
Es regnet und regnet und wir versuchen uns beim Warten in der Flughalle Hatay darüber auszutauschen, warum oder wie manche Menschen dazu fähig sind anderen Menschen solches Leid zuzufügen!?
Man kann und darf nicht aufhören darüber nachzudenken, was jeder Einzelne jeden Tag für den Nächsten und sich selbst tun kann, damit es besser wird. Damit das Leben Freude macht und nicht nur eine Qual ist.
Wie fühlt sich die Reise jetzt im Vergleich zur Mai-Reise an?
Obwohl wir dieses Mal mehr Shows gespielt hatten, als im Mai, fühlt sich die Reise für uns körperlich nicht ganz so anstrengend an. Das liegt nicht nur daran, dass wir einen Spieltag weniger hatten, sondern auch daran, dass wir lediglich einen halben Tag im Flüchtlingslager waren.
Die unterschiedlichsten Emotionen und Bilder dort, die tausenden Kinderhände und Augen haben eine andere Intensität gehabt. Jedoch waren die Eindrücke von gestern in der Klinik viel schwerer als beim letzten Mal. Die Dauer des Krieges und die sich anhäufenden Geschichten und Schicksale zehren an den Menschen und man sieht es in den Augen. Da ist viel, viel mehr kaputt gegangen, als man begreifen kann.
Eine schöne Verabschiedungsszene lieferten Achmed und Heiko:
Achmed erweckte den Anschein beim Handschlag mit Heiko, dass er ihm gern den typischen arabischen Männerkuss links und rechts geben würde (Anmerkung: Achmed ist ca. 30cm kleiner als Heiko), aber Heiko hat das im ersten Moment von oben nicht gesehen.
Achmed holte uns einen Trolli fürs Gepäck – derweil besprachen wir, dass es doch schön wäre, wenn Heiko den Verabschiedungskuss nachholen würde.
Es ist schwer diese liebevolle unbeholfende Szene zu beschreiben, aber es löste ein unglaublich warmes, herzergreifendes, vertrautes und hoffnungsvolles Gefühl in mir aus…
Danke!