Persönlicher Reisebericht von Antonia
21.12.2014
In Zusammenarbeit mit den dortigen NGOs wurden in Jerusalem und Tel Aviv Flüchtlingskinder aus dem nordafrikanischen Raum – sprich Südsudan, Eritrea, Äthiopien und Somalia – besucht. Auch hier war es wichtig die Shows für die einheimischen Kinder ebenso offen zu halten.
Die Organisation Clowns ohne Grenzen finanziert sich ausschließlich durch Spendengelder und alle Künstler arbeiten ehrenamtlich. Und dieses wunderbare Konzept geht auf, das ganze lohnt sich! Warum ich das weiß?
Seid fünf Wochen bin ich wieder daheim. Gut angekommen. Wohl behütet. Und so viele Kilometer weg von Karak und Jerusalem, den wunderbaren Clowns, den vielen kleinen energiegeladenen Kindern, den klugen engagierten Erwachsenen, dem Staub und Geröll, den großen Religionen und schwer präsentem Militär.
Sicherlich weil unsere Clowns so liebevoll und lustig waren, auch weil sie Erlebtes bis zu einem gewissen Grad verdrängen können, aber vor allem weil ihnen oft nichts andres übrig bleibt.
Dirk Kleinloh von Vision Hope hatte uns – die drei Clowns Laia, Manuel und Florian, den Saxofonisten Julian und mich – zu einer ihm gut bekannten syrischen Familie mitgenommen, die vor eineinhalb Jahren nach Jordanien geflohen war.
Es war schon dunkel als unser Kleinbus in der Siedlung am Rande Karaks hielt. Die Häuser waren schlicht und weiß und krallten sich an den staubigen Hang zwischen unebenen Straßen und vermüllten Höfen.
Der Hauptraum war mit Teppichen ausgelegt und auf einem Sofa thronte ein alter, müder Mann – der Großvater der Familie. Vor ihm lief der Fernseher und um einen tiefen Tisch am Boden wuselten drei Kinder.
Der Vater des Hauses bat uns Platz zu nehmen und wie die Hühner auf der Stange reihten wir uns auf Sitzkissen an der Wand auf. Sofort wurden die älteren Kinder geschickt uns Tee zu zubereiten. Unsere Plätzchen, die wir als Gastgeschenk mitgebracht hatten wurden freundlich, aber sehr nebensächlich in Empfang genommen. Hier ging es um etwas anderes. Während sich die sehr aufmerksame Mutter der Familie dezent neben ihren Schwiegervater setze, begann ihr Mann zu erzählen. Dirk dolmetschte für uns vom Arabischen ins Englische. Anfangs lag die Vorstellung von Krieg und Flucht in mitten dieses warmen, heimeligen Szenarios unfassbar fern.
Doch die Geschichten des Vaters brachten sie dann sehr schnell erschreckend nah.
Ein gebrochener Mann – ein Ausdruck, so oft geschrieben und gelesen, bis zu diesem Abend, bis zu diesem Vater, der so viel Leid erlebt und so viel verloren hatte, wusste ich mir kein Bild davon zu machen. Doch seine Augen waren tatsächlich dunkel und leer, es fiel ihm schwer Blickkontakt zu halten. Es irritierte mich. Sein Gesicht, sein Körper alles schien unversehrt, er konnte normal sprechen. Aber irgendwas an seiner Erscheinung strahlte eine so tiefe Traurigkeit aus, eine trübe Energie hatte sich um ihn gelegt und gab mir das Gefühl ein völlig verloren gegangenes Lebewesen vor mir zu haben.
Er sprach vom Tod seines Bruders. Dieser sei vor einiger Zeit bei Straßenschlachten ums Leben gekommen. Er habe das Ganze mit seinem Handy gefilmt, erzählte er und begann sein Gerät zu durchsuchen.
Ein weinender Mann wurde mitten in der Nacht von zwei Anderen über die Straße geschleift, die Handykamera zoomte auf sein Gesicht, aus einer klaffenden Wunde am Hals strömte das Blut heraus, während er nicht aufhörte wie von Sinnen zu schreien.
Ich weiß nicht, ob die Kinder das Video kannten, ob sie es gesehen hatten, vielleicht machte es keinen Unterschied mehr. Wahrscheinlich hatten sie diese Dinge im Laufe der letzten Jahre sogar in echt sehen müssen. Der kleine Junge schnitt weiter Grimassen, das Mädchen setzte sich irgendwann zwischen die Clownin und mich und kuschelte sich unter unsere Decke.
Dann erzählte der Vater, wie alles begonnen hatte. Wie eines Tages Leute der Regierung vor seiner Tür gestanden hatten und er von einem vermummten Mann beschuldigt worden war, gegen das Regime zu arbeiten. Er hatte diesen Mann nicht gekannt, war sich selbst keiner Schuld bewusst gewesen, dennoch war er vor den Augen seiner Familie mitgenommen worden.
Jetzt unterbrach der kleine Junge seine Faxen für einen Moment, zog seinen Pulli über das Gesicht und vermummte sich, um uns zu veranschaulichen wie der Mann ausgesehen hatte, der seinen Vater angezeigt hatte. Dann lachte er und schnitt weiter Grimassen.
Es wurde wieder Tee ausgeschenkt und während das Mädchen immer zutraulicher wurde, mir Zählen auf Arabisch beibrachte und sich freute dass ich ihre Locken mochte, begann der Vater von seiner Verschleppung zu berichten.
Er war in ein konzentrationslagerähnliches Foltercamp gebracht worden. Mit 300 anderen Männern hatten sie ihn in eine Halle gepfercht, in der es so eng gewesen war, dass man nichts anderes als Stehen konnte. Um ihn herum waren reihenweise Menschen gestorben, aus den benachbarten Hallen hatte er die Schreie der anderen Gefolterten hören können. Manche Räume waren mit Wasser geflutet und dann unter Strom gesetzt worden, in anderen hatten sie die Menschen mit Kabelspannern an den Händen an die Decke gehängt.
Er überlebte, wurde nach zehn Tagen frei gelassen und konnte mitsamt seiner Familie nach Jordanien fliehen.
Seine Kinder hörten mit an diesem Abend, sie kannten die Geschichten. Ich hatte das Gefühl, dass die beiden Älteren alles verstanden und zu ignorieren versuchten. Der kleine Junge spielte mittlerweile Teeparty mit unsichtbaren Teetassen.
Ich fragte den Vater, wie sie denn in Syrien gewohnt und ob sie sich dort auch einige wenige Räume geteilt hätten. Das war eigentlich der einzige Moment in dem seine Augen zu strahlen begannen. Natürlich nicht, sagte er, er habe ein wunderbares großes Haus besessen, mehrstöckig mit viel Platz. Der Glanz in den Augen erlosch schnell. Das Haus sei mittlerweile nicht mehr da, der einzige Kontakt nach hause sei der über Whats App mit zurückgebliebenen Familienmitgliedern.
Langsam war Zeit für uns zu gehen. Wir bedankten uns für die Gastfreundschaft, versprachen uns nach einer Hilfsmöglichkeit umzusehen und verabredeten mit den Kindern, dass sie zwei Tage später zu unserer Clownsshow kommen sollten.
Die männlichen Clowns gaben dem Vater und Großvater die Hand. Laia und ich gaben der Mutter drei Küsse. Als ich mich runter beugte um mich von dem kleinen Mädchen zu verabschieden, zog sie mich an sich und küsste und drückte mich und wollte gar nicht mehr aufhören. Ich glaube so bin ich noch nie geherzt worden.
Ich bin immer noch beeindruckt von meiner Reise. Auch fünf Wochen später träume ich nachts noch von den Menschen und Geschichten, die ich erlebt habe. Meine Unverständnis gegenüber dem Grauen und der Gewalt, die in so vielen Teilen der Welt vorherrscht, mischt sich mit der Wut über die Gleichgültigkeit und Trägheit der Menschen in den „reichen“, friedlichen Ländern. Mein Respekt vor Persönlichkeiten wie Dirk Kleinloh, der sich mit seinen Projekten in Kindergärten und Schulen für die Integration, Bildung und Normalität im Leben der Flüchtlinge in Karak einsetzt, ist grenzenlos. Auch die jungen engagierten Sozialarbeiter in Tel Aviv und Jerusalem, welche die Glaubenskriege als absurd empfinden und sich um die geflüchteten Jugendlichen aus allen Teilen Afrikas kümmern, bewundere ich sehr.