2010 Georgien – Reisebericht


07.06.2010 - 20.06.2010

Andreas Schantz (Reiseleiter, Clown Chachwi), Alex Strauss (Clown Broz’euli, tschweni Schepi), Georgia Netschajew (Clownin Kit’ri), Stefan Knoll (Clown Waschli), Manfred Lehner (Fotograf)

in Georgien noch mit dabei: Lela Ekhvaia (Dolmetscherin, Tourmanagerin), David Ekhvaia (Fahrer)


Ergänzend zum Blog hat Stefan Knoll die Reise mitnotiert. Lest hier seine Eindrücke!

Itinerary Date :

Clowns ohne Grenzen - Reise nach Georgien vom 07.06. - 20.06.2010

Montag, 07.06.

Endlich über den Wolken, alles dabei, auch unsere alten Koffer mit vermeintlichem Übergepäck – das Gewicht wurde von 20 kg auf 30 kg pro Nase heraufgesetzt. Nur Andi’s Super – Bio – Sonnencreme, „die total weiß ist und man sich dann nicht mehr schminken muss“, ja die flog aus dem Handgepäck – zu großer Behälter für Flüssiges – auf geht’s, first step Istanbul.

So, jetzt sind wir da – Unwetter vor Istanbul, eine rasante Landung – gleich ging’s weiter – Boarding Time für den Flug nach Tbilisi – wieder rein in die Enge des Fliegers, die Stimmung ist ganz locker drin, viele kräftige Jungs an Bord – vermutlich eine georgische Ringertruppe. Um 3.10 Uhr landen wir in Tbilisi, der große graue Waschli – Koffer hat ein Loch, aber alles da. Zviad vom Hotel Kartli, unserer Unterkunft, holt uns ab – mit einem Freund als Fahrer – ihm haben sie den Führerschein für 30 Tage weggenommen. Trotz der fortgeschrittenen Nacht ist es lau, wir halten noch an einem kleinen „Supermarkt“ – viele kleine Geschäfte haben 24 Stunden geöffnet, es gibt kein Ladenschutzgesetz – kaufen Bier und Wasser. Auf der Fahrt haben wir schöne Sicht auf das nächtliche Tbilisi, die Ruine der Festung, dem surreal mit vielen Lampen und Lauflichtern versehenen Fernsehturm, eine neue Brücke mit Glaskonstruktion über den Mtkwari (Kura)…

Nach der Zimmerbelegung sitzen wir noch auf Bier und Wasser in einer Art Lauben-Biergarten im Hotel zusammen. Zitat des Abends von unserem Manfred (Photowili):

“ Die drei Zahlen, die auf dem Flugzeugmonitor immer wieder erschienen, waren schon eigenartig: 12 000 Meter Höhe, -60°C und eine Geschwindigkeit von 870 km/h. Ich bin in meinem Leben noch nie schneller als 100 km/h gefahren…“

Dienstag, 08.06.

„Ausgeschlafen“, gut gefrühstückt. Heute haben wir Lela kennen gelernt, wir hatten ein Treffen im Café des Goethe-Institutes. Wir haben uns gleich gut verstanden. Lela war 6 Jahre in Deutschland, als Au-pair und als Deutsch – Studentin. Auf die Frage von Andi, was der Unterschied zwischen georgischen und deutschen Humor ist, kommt folgende Antwort: „Georgier haben viel Humor, bei den Deutschen…“ Lela denkt nach…“hab‘ ich noch keinen entdeckt.“ Na, hoffen wir mal, dass wir ihren Erfahrungsschatz etwas erweitern können!

Nach dem Treffen fragten wir beim Goethe – Institut, ob wir einen Raum haben können, für’s Proben. Wir wurden sehr freundlich empfangen, wir hatten auch von Deutschland aus e-mail Kontakt, und man wußte, dass wir im Juni im Lande sein würden. Wir bekamen einen sehr schönen Saal und wir konnten in Ruhe unsere „Show“ noch einmal durchgehen, überprobt waren wir ja nicht unbedingt.

Mittwoch, 09.06.

Um halb eins werden wir abgeholt. Lela’s Mann David fährt das Auto. Er ist kurzfristig eingesprungen, da der eigentliche Fahrer spontan abgesagt hat. David (Dato) wird uns die ganze Tour über begleiten – ein wahres Geschenk einen so ruhigen Fahrer im wilden georgischen Verkehr zu haben! Und schon geht’s los zu unserem ersten Einsatz! Wir fahren nach Rustawi, einer Plattenbau-Kleinstadt, 45 Autominuten südöstlich von Tbilisi. Wir spielen vor ca. 100 Kindern in einer Behinderteneinrichtung. Schul- und Waisenkinder wurden zusätzlich eingeladen. Es ist ein voller Erfolg, wir fühlen uns wohl, die Kinder haben sehr viel Spaß, auch unsere georgischen Obst – und Gemüse – Clownsnamen kommen gut an. Juhu! Dato ist auch ganz beeindruckt – es ist in Georgien nicht üblich, dass behinderte Menschen am öffentlichen Leben teilhaben – er hatte noch nie welche gesehen.

Zuhause wollen wir dann duschen, Fotos überspielen und webloggen – geht erst mal alles nicht – Stromausfall!

Donnerstag, 10.06.

Heute ging’s um 10.30 Uhr los nach Koda, einem Flüchtlingslager 30km (60 Autominuten) südöstlich von Tbilisi, in dem etwa 2000 Menschen aus Süd-Ossetien unter teils schwierigen hygienischen Verhältnissen in einer ehemaligen Kaserne leben. Laut Auskunft der Leiterin des Lagers waren wir die ersten auswärtigen Besucher überhaupt. Beim Eintritt in die Kaserne passieren wir ein langgestrecktes Zelt, dass halb gefüllt ist – Gäste einer Trauerfeier, die auf’s bevorstehende Mahl warten. In der Nähe unseres Spielplatzes werden wir in eine Weidenhütte ohne Dach gebeten. Hier bereiten ältere Frauen Lawasch zu, georgisches Brot, an der heißen Innenwand eines Tonnenofens gebacken, sie freuen sich uns davon abzugeben. Wir spielen unsere zweite Show vor etwa 250 Kindern, die hier seit etwa eineinhalb Jahren leben. Trotz Mittagshitze gibt es viele lachende Kinderaugen, bei unserem Auszug heften sich einige Kinder an unsere Fersen und wollen gar nicht mehr weichen.

Der zweite Besuch und Auftritt fand in einem Waisenhaus in Kodjori statt, 20 Km südwestlich von Tbilisi in einer wunderschönen Hügellandschaft gelegen. Vor dem Haus war eine kleine Ausstellung von getöpferten Dingen und selbstgemalten Bildern. Beim Umziehen und vorbereiten dann ein Hinweis: Durch die Hitze im Auto, als wir eine Essenspause machten, ist an Waschlis Ukulele eine Saite gerissen. Ab jetzt gilt immer Schattenparken oder Instrumente, vor allem Akkordeon und Saxophon raus! Dann ging’s los, wir hatten einen schönen, schattigen Platz zum Spielen, etwa 60 Kinder und Jugendliche und 20 Erwachsene schauten zu. Eine sehr ruhige Atmosphäre, ein schöner, erfüllender Auftritt. Danach hatten wir noch etwas Zeit mit den Kindern zusammenzusitzen, Georgisch zu lernen und Fußball zu spielen…

An beiden Orten, genauso wie gestern bei unserer Premiere, war die Herzlichkeit und Freude der Kinder und auch der Erwachsenen über unseren Besuch stark spürbar.

Freitag, 11.06.

Unsere erste Vorstellung hatten wir in Galawani – dies liegt gut 35 Kilometer nordwestlich von Tbilisi – im wunderbar schattigen Schulhof. Dort besuchen etwa 70 Schüler die Dorfschule, die Hälfte von Ihnen sind Flüchtlingskinder aus Südossetien. Bemerkenswert ist hier, als ein Mitarbeiter der Schule Lela und Georgia beim Begrüßen völlig ignoriert. (Hierzu Georgias Anmerkungen zum Thema Frau sein in Georgien:
Im großen und ganzen wurde ich behandelt wie in Deutschland auch. Manchmal hatte ich das Gefühl weder zu den Frauen noch zu den Männern zu gehören.
Das war seltsam.
Die Mann/Frau Rollen werden in Georgien sehr traditionel gelebt.
Frauen werden verehrt und geschätzt.
Man heiratet als Frau ab 16, mit 25 zählt man zum alten Eisen.
Die Frau ist zuständig für die Verhütung, bei ungewollter Schwangerschaft ist sie auf sich selbst gestellt.
Miniröcke und Highheels sind in.
Manche Mädels rennen bei 40° C in blickdichten Strumpfhosen rum.Man darf die Beine erst rasieren ,wenn man die Schule beendet hat. Es gibt Hygienebinden zu kaufen,keine Tampons…)
Zum Umziehen dürfen wir in einen schimmligen Nebenraum der Turnhalle. Es ist eine ruhige Atmosphäre, man merkt den Kindern sehr die Melancholie an, wenn man ihnen in die Augen blickt. Um so schöner wenn man dann in lachende Gesichter und Augen schauen kann. Nach dem Spielen unterhielten wir uns noch mit der Direktorin. Sie sagte, dass die Erfahrung gezeigt hat wie wertvoll künstlerische Arbeit für traumatisierte Kinder sei….

…und schon ging es weiter nach Prezeti, es soll etwas nördlich von Galawani sein, viel mehr wußten wir nicht. Doch war Prezeti nicht zu finden, wir fuhren dreimal an der richtigen Abbiegung vorbei bis Lela nach vielem Fragen und telefonieren endlich rausfand, wo es hin geht. Nach kurzer Zeit verschwand der Asphalt und David – unser toller Fahrer – manövrierte uns in Schrittgeschwindigkeit den Berg hinauf. Nach einer kleinen Stunde und 10 km weiter kamen wir endlich oben an.

Der Anblick war surreal: 300 Häuschen standen dort auf einem kahlen Bergrücken in Reih und Glied. Die zartgrünen Häuser stehen im Kontrast zu blauen Blumen, die hier in Unmengen wachsen. Im Abendlicht ein bizarrer Anblick. Es ist eine eigenartige Stimmung, wir haben das Gefühl gerade richtig zu sein an diesem Ort. Wir werden ins Zentrum gelotst. Wo ist das? Es steht eine kleine Holzhütte da, viele Kinder und ein paar Erwachsene erwarten uns schon. Begrüßen, Umziehen, Schminken, wir beginnen die Show. Wir lassen uns Zeit und suchen viel Kontakt. In 100 Meter Entfernung stehen etwa 20 Männer im Schatten eines Hauses und blicken herüber. Auf Winken erwidert etwa die Hälfte. Die Kinder sind schon gespannt, wir beginnen ganz zart unser bayrisches Lied…Nach der Aufführung stehen wir noch eine Zeit zusammen mit ein paar Frauen und Kindern. Eine junge Frau, vielleicht 18 oder 20 Jahre alt, erzählt: Sie haben nur eine Stunde Wasser am Tag und das ist auch schmutzig und macht krank. Sie haben oft Stromausfall, keine ärztliche Versorgung, keine Medikamente. Wenn es regnet steht alles unter Wasser, auch die Häuser. Im Winter ist viel Schnee, wenn dann der Wind geht, kann keiner mehr aus dem Haus, der Wind geht oft auf der Hochebene.Es kommt hier niemand hoch, außer ein paar Händler die drittklassige Ware verkaufen.Es gibt kein Gemeindehaus und keine Verdienstmöglichkeit. Ich verstehe nichts, Lela übersetzt, aber ihre Stimme transportiert sehr viel Emotionen, mich berührt das sehr. Sie bedankt sich sehr für den schönen Tag und die Frauen sagen noch, wir sollen sie nicht vergessen. Im Niemandsland.

Samstag, 12.06.

Heute Mittag ging es Richtung Osten, nach Kachetien. Lela und Dato erzählen, dass sie gestern noch lange geredet haben, sie waren auch sehr berührt von dem Besuch in Prezeti. Am Nachmittag machen wir einen Stopp bei einem Park. Zufällig war hier ein Fest der georgischen Kulturen. Große Bühne, Markt mit Filz- und Wollsachen und Instrumenten. Tanzvorstellungen, Gesangs- und Musikeinlagen. Viel Tracht und schöne Kleider. Ein Chor probte zauberhaft im Schatten. Die Anlage auf der Bühne extrem laut aufgedreht…wunderschön das erlebt zu haben, wir hätten uns gern länger aufhalten können! Aber weiter nach Telavi, unterwegs immer wieder langgestreckte Dörfer an der Straße, Menschen im Schatten sitzend, Waren anpreisend oder sich unterhaltend. In Telavi treffen wir Bata, der das YMCA-Haus dort leitet, und sich auch um Flüchtlingskinder kümmert. Hier sollten wir beim Kulturzentrum spielen, wir zogen uns im Freien um, hängten den Vorhang auf, dann fing es leise an zu regnen. Lela kommt, der Auftrittsort ist verschoben, in einen nahegelegenen Park mit altem, vor Regen schützenden Baumbestand. Dort angekommen, sind die Flüchtlingskinder schon da, aber auch Kinder aus Telavi. Wir spielen uns rein in den Park, suchen einen einigermaßen trockenen Platz unter Bäumen. Es fängt immer fester an zu regnen, wir haben keine Rückseite, es bildet sich ein Kreis, schwierig zu spielen, besonders schön sind die musikalischen Sachen, wenn wir ganz nah hingehen und leise spielen. Ich schau in viele erstaunte, fröhliche, auch melancholische aber erheiterte Kinderaugen. Auch etliche Parkbesucher gesellten sich zu uns, vier Polizisten schauten noch zu, Autoscooter lärmten…. Danach geht’s ins YMCA-Haus, dort ist ausser Bata auch Balthasar, ein freiwilliger Helfer aus Biberach. Dato gibt uns bei einem improvisierten Abendessen eine Einführung in die georgische Tisch- und Tafelzeremonie, der sogenannten Supra. Es wird ein schöner Abend mit gemütlichen Beisammensein und Musik.

Sonntag, 13.06.

Nach einer Nacht auf der Isomatte, mit einem schönen Schnarchkonzert für Kit’ri, gibt es süsse Riesenplätzchen mit Marmeladenfüllung zum Frühstück in der Laube. Dann machen wir uns auf nach Quedeli bei Signagi, ungefähr 80 km Richtung Aserbaidschan. Auf dem Weg ein kurzer Abstecher zu Nino’s Grab und Heilquelle, ein historischer Ort, hat doch Nino das Christentum im 3. Jahrhundert nach Georgien gebracht. In Quedeli wurden die zwei geplanten Vorstellungen zusammengelegt. Wir spielten in einer Behinderteneinrichtung, einige Waisenkinder kamen hinzu. In Georgien leben behinderte Menschen jenseits der Gesellschaft, und so waren die Waisenkinder sichtlich geschockt,als sie zum ersten mal Behinderte sahen. Das neugebaute Haus liegt am Berg inmitten wundervoller Natur, mit einem wirklich atemberaubenden Ausblick über eine Ebene bis Aserbaidschan. Wir beginnen unser Spiel ganz zart, und bleiben auch leicht, auf Musik springen sie unglaublich an. Schepi macht seinen ersten Ausdruckstanz, bei Elise fängt einer an zu tanzen, ein zweiter steigt ein, plötzlich ist Party, zalien kargi! Die Menschen dort waren sehr, sehr herzlich. Die Kinder sangen, klatschten und tanzten mit uns. Zum Schluß sangen sie uns ihre eigenen Lieder vor. Als ein Mädchen im Rollstuhl singt, bin ich sehr gerührt. So herzlich, so unmittelbar, so lebendig! So schön,daß man weinen möcht…Didi madloba! Danach sitzen wir noch mit den Betreuern und Bewohnern auf dem Balkon zusammen. Es gibt Kaffee, Süßes, Brot, Käse und Wein. Erfüllt und glücklich fahren wir wieder durch die schöne Landschaft Kachetiens wieder heim nach Tbilisi, nicht ohne noch eine Spezialität kennenzulernen: Tschurtschkella, lange, braune Süßigkeiten aus dickem Traubensirup und Walnüssen, die Lela am Straßenrand kauft.

Montag, 14.06.

Heute gab’s eine Überraschung bei der Abfahrt: Bei unserem Tourauto brach gestern, kurz nachdem wir ausgestiegen waren, die Achsaufhängung. Dato ist nichts passiert, er kümmert sich gleich um die Reparatur, Lela kommt mit eigenem Auto und Taxi. Das geht, da wir heute in Tbilisi spielen. Erst geht’s los in ein Flüchtlingslager in einem ehemaligen Militärhospital im Stadtteil Isani. Wir werden sehr herzlich mit Kaffee und Süßem empfangen. Da erfahren wir auch, daß im Kindergarten erst eingebrochen wurde und einige Wertgegenstände entwendet wurden, vermutlich von Lagerbewohnern…Wir spielen auf dem Spielplatz eine sehr ruhige Show vor vielen ganz kleinen Kindern bei gefühlten 50° im Schatten. Danach wird uns wieder große Dankbarkeit für unser Kommen zum Ausdruck gebracht.

Dann kurz in die Unterkunft, etwas Ausruhen, um halb fünf kommt Dato, das Auto ist repariert. Der zweite Auftritt heute ist in einem Waisenhaus im Stadtteil Digomi, das Fernsehen hat sich angesagt. Beim etwas maroden Gebäude steht ein vergitterter Bolzplatz mit Kunstrasen. Hier werden wir spielen. Zum Umziehen gehen wir eine baufällige Treppe in den Flur, und siehe da, der Speiseraum sehr schön renoviert und pink gestrichen. Das Fernsehen kommt, macht ein Interview, dann noch warten, es geht verspätet los. Es sind erstaunlich wenig Kinder, etwa 60, die trotzdem Spaß haben. Mir fallen auch drei Teenie – Mädchen auf, die sehr cool schauen. Irgendwann können aber auch sie sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Was wir beim Spielen nicht wußten: Lela erzählt hinterher, daß viele Kinder nicht zur Vorstellung kamen, weil sie nicht auf Fernsehbildern auftauchen wollten, es gilt als Schande im Waisenhaus zu leben. Sie wollte sie noch überreden, aber sie waren nicht davon abzubringen. Wieder eine Erfahrung reicher, wie sensibel hier die Kinder auf Medien reagieren können.

Am Abend trafen wir schwedische Clowns ohne Grenzen, die gestern ankamen. Auch georgische Clowns waren da, sie machen zusammen 4 Wochen ein Projekt hier. Es war ein schöner Abend, und eine weitere Einführung in georgische Eß- und Trinkkultur, hoppala! Die Gastfreundschaft ist hier wirklich sehr ausgeprägt. Wie Lela erzählt ist in Georgien jeder Gast von Gott gesandt.

Dienstag, 15.06.

Dienstag war ein langer Reise-Tag mit zwei Shows in der Umgebung von Gori, einer Stadt die unmittelbar an der südsossetischen Grenze liegt, im Krieg Ziel russischer Luftangriffe war, und in deren Umgebung mehrere Flüchtlingslager gebaut wurden.
Auf Nachfrage bekamen wir die Zahl von insgesamt 250 000 Flüchtlingen genannt, die derzeit in Georgien leben, die Anzahl der Lager in denen sie untergebracht sind, konnten wir nicht eruieren. Ungeachtet der Grösse des jeweiligen Lagers waren wir in allen Fällen mit den Themen Trauma, Melancholie und Traurigkeit konfrontiert, die Arbeitslosigkeit in den Flüchtlingslagern beträgt etwa 90%, die Flüchtlinge selbst richten sich oft auch nicht ein, in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimatgegend.
Die erste Show fand im Lager Shawschwebi statt, vor 60 sehr aufgeweckten Kindern in einer Art Gemeindehaus, da war’s dann auch etwas kühler als in der drückenden Hitze draussen.

Der zweite Auftritt fand im Lager Gori / Wewschwebi statt, einer Siedlung, die von Deutschland gestiftet und gebaut wurde. Man merkt sofort die Deutsche Wertarbeit. Fundamente, Dachrinnen, Holzvertäfelung, Berliner Allee. Eine Frau vom Flüchtlingsministerium ist da, sie hat auch noch andere Kinder eingeladen, die werden mit Bussen gebracht. Es sind etwa 200 Kinder und 50 Erwachsene da, die Kids sind gut drauf, rücken uns immer mehr auf die Pelle, anfangs fliegen auch von hinten ein paar Steinchen auf Chachwi und Waschli. Wir schaffens dann aber glücklicherweise sie auf gute Art wieder zu sortieren und es wird eine schöne Aufführung. Danach sind wir aber alle ganz schön fertig und hungrig und jetzt geht’s weiter nach West-Georgien, nach Mengrelien. Nach ca. 4 Stunden Fahrt, zwischendurch wieder die köstliche georgische Küche erlebt, kommen wir bei Dato’s Papa, der hier Mama heißt, weil georgisch Mama auf deutsch Papa heißt. Verstanden? Ja, und Dato’s Mama, also sein Papa, der wiederrum Afto heißt, wird heute unser Herbergsvater sein. Er wohnt in einem einfachen mengrelischen Holzhaus auf Pfählen in einem sehr idyllischen Dorf. Als wir ankommen ist auch noch Stromausfall, keine Seltenheit hier.

Mittwoch, 16.06.

Nach dem Frühstück ging’s erst mal an den Fluß zum Baden, danach kurzer Halt bei den Ruinen der alten Stadt Medea, die Geschichte erzählt von der Argonautensage um das Goldene Vlies. Am Nachmittag fuhren wir ins Flüchtlingslager von Senaki, in dem etwa 2600 Menschen aus Abchasien und Süd-Ossetien leben. Auch Senaki war von kriegerischen Handlungen betroffen, wie uns Lela erzählte. Eine Horde Kinder erwartete uns schon sehnsüchtig, es gab ein Missverständnis bei der Anfangszeit, wir kamen später als erwartet. Als wir beginnen wollten, gab’s erst mal eine Gegenveranstaltung von jungen Männern mit dunklen Sonnenbrillen und lauter Musik aus dem Auto. Chachwi konnte sie in seiner Clownsfigur dazu bewegen die Musik abzustellen. Wir hatten einen schönen Kreis mit über 200 Kindern und Jugendlichen. Kit’ri hat eine Schraube verloren. Vom Akkordeon. Nach dem Spiel fuhren wir weiter auf’s Land zu Lela’s Tante mit Mann, Sohn, Schwiegertochter und Enkeltochter. Es waren auch Nachbarn da, und es wurde zur Supra eingeladen. Es war ein außergewöhnlich schöner Abend mit viel Essen, Trinksprüchen und Musik.

Donnerstag, 17.06.

Heute spielten wir in Jrvari, es liegt an der Pufferzone zu Abchasien vor über 400 Flüchtlingskindern und Erwachsenen. Als wir ankamen brodelte der Platz bereits vor Erwartung und während der Vorstellung hatten wir und unsere Helfer alle Hände voll zu tun, damit wir nicht mit dem Publikum verschmelzen – ein echter Hexenkessel! Es war uns ein Volksfest! Danach fuhren wir Richtung Westen und spielten in Anaklia – es liegt direkt am Schwarzen Meer – in einer Schule für Flüchtlingskinder. Kit’ri, noch geschminkt und mit Filzblumen im Haar, wurde sofort von etlichen Kindern umlagert und hatte gleich viele Fans. Wir hatten einen schönen, ruhigen Auftritt, trotz allem wie immer sehr schweißtreibend…Im Vorfeld hatte uns der Bürgermeister schon zum Grillen am Meer eingeladen, wir fuhren über eine Schotterpiste an den Sandstrand. Jetzt hieß es Treibholz sammeln zum Feuer machen. Dann grillte der Geographielehrer Fleisch und Fisch während wir uns in die Wellen stürzten. So eine Gaudi! Auf einer Picknickdecke gab’s eine improvisierte Supra, dann weiter zu weiteren Verwandten von Lela, die schon Essen vorbereitet hatten. Nun gab es ein Unwetter und telefonisch erfuhr Lela, dass die Straße zu unserem Ziel nicht befahrbar ist und auch Stromausfall ist. Kurzentschlossen fuhren wir wieder zu Afto für eine geruhsame Nacht.

Freitag, 18.06.

Aufbruch um 10 Uhr, wieder Richtung Osten. Heute wollten wir unter anderem in Samtavisi spielen, das liegt in der Pufferzone zu Süd-Ossetien. Auf der Fahrt sagt die Schule ab, sie haben heute Schulausflug. Wir machen trotzdem einen kurzen Abstecher, Lela möchte uns gern das Dorf zeigen. Am Ortseingang verschlafene Polizisten und Militär. Hier kann nicht jeder einfach rein. Am Ortsende beginnt schon der Bereich, der von Russland kontrolliert ist. Eine eigenartige Stimmung ist hier, kein Mensch ist zu sehen. Unser letzter Spielort war Tserovani, ein Flüchtlingsort mit über 2000 Einheitshäuschen etwa 50 Kilometer nordwestlich von Tbilisi. Der Anblick ist surreal, wie in Prezeti nur noch mit größerem Ausmaß. Die Siedlung wirkt wie ein Mahnmal in der Landschaft. Wir wurden herzlich im Gemeinschaftshaus empfangen und hatten etwa 200 Zuschauer im Alter zwischen zwei und sechs Jahren. Ein letztes Mal sagen Chachwi, Kit’ri, Waschli und Broz’euli „kargat“ , ein letztes Mal ertönt die Auszugsmelodie, dann geht’s erst mal wieder „heim“ nach Tbilisi.

Samstag, 19.06.

Heute spielen wir nicht mehr, wir stellen fest, dass wir ein tolles Team sind und wir eine super Zeit hatten und haben, der letzte Blog wird geschrieben, ein Abschiedsessen mit Lela und Dato. Abends sind wir bei den georgischen Clowns in ihr kleines Theater zum großen Spektakel eingeladen. Es wird eine wunderschön lebendige, herzerfrischende Vorstellung. Danach gibt’s noch ein georgisch-armenisch-aserbaidschanisch-österreichisch-deutsches Friedensfest auf der Festungsruine.

Sonntag, 20.06.

Abreisetag. Packen, die letzten Besorgungen und Spaziergänge, um 11.00 Uhr müssen 2 Zimmer geräumt sein, Lela kommt nochmal, wir lernen ein georgisches Kinderlied…um 15.00 Uhr geht’s mit Zviad zum Flughafen. Nachwamdiß, Sakartweli! Um viele Eindrücke und intensive Erlebnisse reicher steigen wir in den Flieger. Es war unvergeßlich schön dabei gewesen zu sein!

Gepostet am

11.03.2023